Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Künstler.«
Garoche erhob sich, ließ das Mädchen stehen, ging erneut zu Katuschke hinüber vor das Scheunentor und betrachtete Erwin. Blut von Garoches Faustschlag war ihm aus der Nase gelaufen, die Wange herunter und hatte Bart, das rechte Ohrläppchen und die Kopfhaare verklebt.
Das Knarren und Quietschen der Holztür beim Öffnen ließ Katuschke nur leicht mit den Wangen zucken und veranlasste ihn, sich von der Störung weg auf die andere Seite zu wälzen, um sein Schnarchkonzert fortzusetzen.
Schon seit einigen Wochen war Garoche nicht mehr in dem Teil der Scheune gewesen, der Katuschke als Atelier diente. Das Licht der Glühbirne erhellte Raum und Bilder. Ein Rundgang ließ Garoche staunen über die Arbeit des Kollegen. Wie viele Bilder hatte er gemalt, seit Garoche ihn das letzte Mal hier besucht hatte? Wie unglaublich fleißig dieser versoffene Kerl war und wie präzise er den Stil der verschiedenen Künstler kopierte! Nein, kopieren war nicht das richtige Wort, er schaffte spielend den Spagat, die Kunst eines anderen mit seiner ganz eigenen Ausdrucksweise zu kombinieren. Viele verschiedene Motive hatte Katuschke dargestellt. Es waren Menschen aus ihrer Umgebung. Menschen aus Brandenburg, so wie Garoche sie von vielen, teilweise gemeinsamen Spaziergängen her kannte. Aber sie passten sich mühelos in die Welten eines Pechsteins oder Kirchners ein. Sogar Details aus der örtlichen Tracht und Landschaft hatte Katuschke eingefügt, um die Bilder perfekt zu machen. Gemalt bei der Arbeit. Handwerker, Bauern, Angestellte, Besitzer einfacher Läden und Werkstätten. Und zwei alte Leute vor ihrem Haus auf einer Bank. Die Augen müde auf den Betrachter gerichtet. Doch in ihrem Blick konnte Garoche nicht nur die Last eines langen, schweren Lebens erkennen, nein, auch was sich vor ihrem Haus tat, spiegelte sich. Die Zukunft. Ein leichter Hauch eines Lächelns im Mienenspiel verwies den Betrachter auf die Kinder, die Jugend, die auf der Straße spielte. Sie sollten es einmal besser haben. Wo genau aber deren Zukunft lag, in einer besseren Heimat oder weit weg in einem fernen Land, das konnte Garoche nicht erkennen. Katuschke hatte es zwar geschafft, das Gefühl der beiden Greise in seinem Bild festzuhalten. Ein Prophet war der Kollege aber nicht.
Mit großer Anerkennung der Arbeit des Kollegen betrachtete er die zum Teil noch frischen, nicht gefirnissten Bilder. Fast am Ende seines Rundgangs entdeckte er an der Tür in der unbeleuchteten Ecke des Ateliers ein strahlendes Gelb, das ihn magisch anzog. Behutsam zog er das Gemälde hervor, das größtenteils hinter einem Rahmen mit gerade aufgezogener Leinwand fast schon versteckt stand und eine Landschaft preisgab. Hätte Garoche nicht gewusst, dass Katuschke es zutiefst verabscheute, Landschaften zu malen, hätte er sich nicht weiter gewundert. So dachte er für einen Moment, ein anderer Künstler hätte dieses Werk geschaffen. Doch wer auch immer es gewesen war: Selbst in der spärlichen Beleuchtung der hintersten Ecke strahlte ihn das Goldgelb des Weizenfeldes an, das der Wind in alle Richtungen wiegte. Über dem Feld trieben in Manganblau, Grau und Schwarz die Wolken am Horizont vorbei. Und genau über dem Dorf mit der Kirchturmspitze brachen weiße Wolken den dunklen Himmel auf. Über den Obstbäumen am rechten Bildrand schimmerte der Fleck Vanadiumgelb, der Garoches Aufmerksamkeit erregt hatte und die Sonne erahnen ließ, wie bald sie dem Gewittertreiben ein Ende machen würde. Auf der anderen Seite des Bildes zeigte sich an einem kahlen, anscheinend abgestorbenen Baum ein Blatt aus zart leuchtendem Grün, es trotzte dem Wind und allem Vergänglichen. Die helle, frische Farbe des Blattes ließ auf einen Frühlingssturm schließen.
Dem Bau der Kirche und der Lage des Dorfes nach musste Katuschke das Bild hier in der Nähe der Mark Brandenburg gemalt haben. Während er so nachdachte, erinnerte sich Garoche eines Spaziergangs mit dem Kollegen und der hier dargestellten Szene. Eine Signatur fehlte. Was für ein wunderschönes Gemälde! Garoche konnte sich nicht satt sehen. Er trug das Bild in das Licht der Glühbirne, lehnte es an einen Stuhl, dann zog er sich Katuschkes Malschemel heran, stützte die Arme auf die Knie und das Gesicht in die Hände und betrachtete fast eine weitere halbe Stunde die Landschaft. »Was für ein Künstler!«, bestätigte er seine Meinung. Wären da nicht die Stimmungsschwankungen und der Alkohol, die in grausamer Verschwörung sein
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