Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Talent vernichteten, wie viel Großes könnte dieser Maler schaffen. Wenn man ihn ließe.
Dann aber dachte Garoche an sein eigenes Talent und die Umstände, in denen er lebte. Was nützte all das Können, wenn niemand wusste, dass es seine Kunst war? Wenn die eigenen Bilder in die Geschichte eingingen als diejenigen eines Muellers, Kirchners oder Mackes? Nur des Geldes wegen? Oder versteckte er, Garoche, sich nicht eher vor dem Urteil über sein Talent? Wie viel hatte es ihm eingebracht? Die Ausstellungen in den großen Galerien waren frei erfunden, und manchmal hatte er sich dabei ertappt, wie er selbst anfing, an sein Lügengebäude zu glauben. War er wirklich der Maler, für den er sich hielt? Katuschkes Selbstzweifel waren ihm weiß Gott nicht fremd. Aber er wollte sich von ihnen nicht auffressen lassen. Darin lag der Unterschied. Garoche wollte kämpfen und diese Zeit als einen Übergang hinnehmen, wollte eines Tages seine Bilder tatsächlich in den großen Galerien der Welt hängen sehen. Und was wäre dann mit den Bildern, die er jetzt malte? Und mit denen, die gerade um ihn herumstanden? Würden sie ihn verfolgen und anklagen? Egal, Garoche hatte beschlossen, zu überleben, und das unter allen Umständen.
Er stellte das Bild wieder sorgfältig in seine Ecke zurück, deckte es ab und verließ das Atelier. Über den vor dem Tor im Gras schlafenden Katuschke warf er eine Wolldecke. Dann ging er selbst in sein Zimmer und kroch ins Bett, von Ada bereits sehnsüchtig erwartet. Er wies ihr Liebesangebot zurück, drehte sich von der Enttäuschten ab auf die Seite und schlief sofort ein.
Am nächsten Vormittag, Garoche hatte schon gefrühstückt und drei Stunden an der Staffelei gesessen, kam der zerknautschte Katuschke und entschuldigte sich vorsorglich. Nur eine vage Ahnung, dass wohl etwas geschehen sein musste, veranlasste ihn zu diesem Kanossagang. Eine Erinnerung an den gestrigen Abend hatte er nicht.
»Ich weiß, ich kann sehr aufbrausend sein. Habe ich etwas gesagt oder getan, was dieses erforderlich machte?« Damit deutete er auf das verkrustete Blut und die leicht geschwollene Oberlippe.
»Ich habe dir das Schlafmittel verpasst. Sonst hätte Löhner das übernommen, und ob du dann so schnell wieder aufgewacht wärst, ist fraglich.«
»Wahrscheinlich nicht«, antwortete Katuschke und nach einer kurzen Pause fügte er noch an: »Danke!« Daraufhin schickte er sich an, seinen Kopf in die Regentonne zu tauchen.
Garoche fiel das Gemälde ein und er wollte seine Gedanken vom gestrigen Abend erwähnen, beließ es aber in der Hoffnung, einen besseren Moment zu erwischen, um darüber zu sprechen. Denn Katuschke steuerte geradewegs den Keller an, um nach einigen Minuten mit einer Flasche Rotwein wieder heraufzukommen und sich in sein Atelier zurückzuziehen.
Schon seit dem frühen Morgen kreiste ein Zeppelin über der Stadt und dem Reichssportfeld. Am Heckruder des Luftschiffs prangte das Hakenkreuz, und unter dem mächtigen Rumpf wehte die Fahne mit den Fünf Ringen. Es war der 1. August 1936, der Tag, an dem die XI. Olympischen Sommerspiele begannen.
Als Garoche die Zigarre dahinschweben sah, fiel ihm Eduard ein und dass er Karten für die Eröffnungsfeier hatte.
Gerne wäre er mit ihm zu dieser Veranstaltung gegangen. Wann bekam man schon einmal die Gelegenheit solch ein Ereignis zu besuchen. Obwohl ihn Sport nicht so wirklich begeisterte, hätte Gustave die Atmosphäre mit den vielen Menschen aus der ganzen Welt schon interessiert.
Hätte er seinem Freund vielleicht doch besser die Wahrheit sagen sollen? Nein, Eduard wäre dagegen gewesen und hätte ihm stattdessen Geld angeboten. Auch wäre Eduard als Anwalt verpflichtet gewesen, wenn nicht seinen Freund, der ja zu diesem Zeitpunkt außer den gefälschten Ausstellungspapieren noch nicht viel Verbotenes getan hatte, so doch zumindest den Kunsthändler Otto Niewarth anzuzeigen. Hätte er das unterlassen, und es wäre herausgekommen, so hätte seine Karriere auf dem Spiel gestanden, und auch ein Ausschluss aus der Reichsanwaltskammer wäre durchaus denkbar gewesen. Das alles wollte Gustave natürlich nicht. Aber der Freund fehlte ihm. Schließlich war Eduard der Grund, warum er nach Berlin gekommen war. Er sah wieder zu jenem Zeppelin hinauf und dachte daran, dass Eduard und Heinz jetzt bestimmt im Olympiastadion säßen und mit tausend anderen auf die Eröffnung der Spiele durch den Reichskanzler Adolf Hitler warteten.
Am Abend, als die Sonne
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