Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
leisten.«
»Sorry«, keuchte ich und bahnte mir den Weg zu meinem Platz in der Mitte der zweiten Reihe, direkt vor Bri und neben unserer gemeinsame Freundin Mickey (ja, genau wie die Maus. Um es kurz zu machen: Ihre Mutter war in Disneyland, als die Wehen einsetzten). »Der Verkehr war-«
»Mmm-Mmm«, unterbrach er mich und gab mir wortlos zu verstehen, dass meine Entschuldigung, so wahr sie auch sein mochte, auch nicht glaubwürdiger oder relevanter war als Bris Fantasiegeschichten.
»Diese Woche werden wir uns mit der Struktur der Materie beschäftigen«, leierte er los. »Anfängen möchte ich mit den unterschiedlichen Arten der chemischen Bindung ...«
»Gute Wellen gehabt?«, flüsterte Bri, als ich mich vor ihr niederließ.
»Schlimmer Verkehr.« Ich zog ein Heft heraus und fing an, mir Notizen über ionische und kovalente Bindungen zu machen, während ich versuchte, nicht auf die Kälte zu achten, die wieder in mir hochkroch. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die Zeit überstehen sollte, bis meine Kleider getrocknet waren. Im Moment war mir so kalt, dass es sich anfühlte, als würden meine klappernden Knochen gleich auseinanderfallen. Hinzu kam, dass mein Hals brannte, als würde er in Flammen stehen. Hitze und Schmerz fraßen sich von einer Stelle hinter den Ohren bis zu den Schultern hinab. Es versprach wirklich ein höllischer Tag zu werden.
»Hier.« Mickey schlüpfte aus ihrer Lederjacke und reichte sie mir. »Du klapperst ja schon wieder mit den Zähnen.«
Ich wollte ablehnen. Die Jacke sah teuer aus und ich war so durchnässt, dass ich Angst hatte, sie zu ruinieren, aber Mickey hatte recht. Ich klapperte wirklich mit den Zähnen und meine Hände zitterten so sehr, dass ich kaum mitschreiben konnte. »Danke«, flüsterte ich, als ich die Jacke überzog. Dank ihrer Körperwärme ließ das Kältegefühl sofort etwas nach. Wirklich warm halten konnte mich die Jacke nicht, das war in diesen Tagen schlicht unmöglich, aber zumindest wurde die Kälte mehr oder weniger erträglich.
Der Chemieunterricht schleppte sich dahin, wie immer, wenn wir keine Versuche machten, und als es endlich klingelte, war ich sicher, dass mir die chemische Verbindung von Atomen Albträume bescheren würde. Ich sah es genau vor mir: Ich rannte schreiend durch einen dunklen Gang, während ich von chemischen Elementen mit riesigen Zähnen und scharfen Klauen verfolgt wurde.
War es bezeichnend, dass ich diese Vorstellung weit weniger erschreckend fand als das, was mich in den kommenden Wochen tatsächlich erwartete?
Ich schob den Gedanken beiseite, weil ich ohnehin nichts daran ändern konnte, und wollte Mickeys Jacke ausziehen. Ich war einigermaßen trocken und fror nur noch in Maßen, sodass ich sicher war, auch ohne Jacke durch den Tag zu kommen.
Aber Mickey gab mir zu verstehen, sie zu behalten. »Gib sie mir heute Mittag zurück. Dein Shirt ist noch ziemlich feucht und das ist ganz schön ...«
Als sie verstummte, blickte ich an mir herab und sah mit Entsetzen, dass sie recht hatte. Mein Shirt klebte mir wie aufgemalt am Körper und es war ... nicht zu übersehen, dass mir immer noch viel zu kalt war. Tödlich verlegen zog ich die Jacke wieder zu und verfluchte zum tausendsten Mal meine Mutter - und ihren bescheuerten Stoffwechsel, den sie mir hinterlassen hatte.
Leider half mir das auch diesmal nicht weiter.
»Danke«, sagte ich, raffte meine Bücher zusammen und eilte mit einem verlegenen Winken in den Korridor hinaus.
Ich hatte schlechte Laune und wollte niemanden sehen. Meine Unterwäsche war feucht, ich sah grauenhaft aus und zu allem Überfluss tat mein Hals immer noch höllisch weh. Ich fuhr mit der Hand über die schmerzende Stelle, die sich tatsächlich ein bisschen heiß anfühlte. Bei dem Gedanken, krank zu werden, hätte ich fast geknurrt. Nach allem, was sich heute schon abgespielt hatte, wäre das wirklich die Krönung meines derzeit so »bescheidenen« Lebens.
Nicht, dass mir viel Zeit zum Grübeln geblieben wäre. Es regnete immer noch, daher herrschte das absolute Chaos. In San Diego scheint an etwa dreihundert Tagen im Jahr die Sonne, deshalb gibt es an den meisten Highschools keine überdachten Gänge und Korridore und unsere ist da keine Ausnahme. Zwar war das unmittelbar an die Gebäude angrenzende Gelände überdacht, aber dreitausend fast erwachsene Schüler unter diese schmalen Vorsprünge zu quetschen, war unmöglich.
Das hinderte die meisten von uns nicht daran, es zu versuchen, was an
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