Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
aufhören.
Es hatte keine weiteren unheimlichen Erlebnisse mehr gegeben. Ich fror zwar immer noch die ganze Zeit, aber mein Fischschwanz war nicht zurückgekommen. Und etwas Neues war auch nicht passiert. Ohne die Kiemen, die einfach nicht verschwinden wollten, hätte ich mir fast einreden können, dass alles, was in letzter Zeit passiert war, lediglich Teil meines wiederkehrenden Albtraums war.
Doch die Kiemen gab es nun mal, und wenn ich damit rechnen musste, dass wieder etwas geschah - etwas noch Schlimmeres -, tat ich nichts anderes, als mich auf das Unvermeidliche einzustellen. War es da verwunderlich, dass ich nicht viel schlief? Oder vor meinem eigenen Schatten erschrak?
»He, Tempest«, rief Dad. »Mark ist da. Er will wissen, ob du heute mit ihnen rausgehst.«
Noch vor einer Woche hätte Mark sich die Frage sparen können. Ich hätte mit dem Board in der Hand draußen auf ihn gewartet. Aber die Spannung zwischen uns hatte sich immer noch nicht gelegt, keiner war bereit gewesen nachzugeben, daher hatten wir uns kaum gesehen. Dennoch war er die letzten fünf Tage Morgen für Morgen vorbeigekommen und ich hatte ihn jedes Mal fortgeschickt.
Mein Körper sehnte sich nach dem Ozean, aber mein Verstand behielt ausnahmsweise einmal die Oberhand. Auf keinen Fall würde ich mich wieder ins Wasser wagen und riskieren, mich endgültig in eine Wassernixe zu verwandeln.
»Tempest?«, rief mein Vater wieder.
»Sag ihm, ich bin krank.«
Die Tür ging auf. »Bist du das denn?« Das Gesicht meines Vaters war besorgt, als er mich von oben bis unten ansah.
»Nein.«
»Oh.« Es gab eine lange Pause, gefolgt von einem noch längeren Räuspern. »Habt ihr euch gestritten?«
»Nein.« So, wie Mark und ich uns die letzten Tage aus dem Weg gegangen waren, war ein weiterer Streit kaum möglich gewesen.
»Ist irgendetwas anderes passiert?«
Unsere Blicke begegneten sich. »Wie meinst du das?«
»Ich weiß nicht. Du warst so sonderbar in letzter Zeit und du siehst erschöpft aus. Ich dachte, dass du vielleicht...«
»Vielleicht was?«
»Ich weiß, wir haben noch nicht darüber geredet. Das ist meine Schuld. Aber du hast in ein paar Tagen Geburtstag und der Brief deiner Mutter -«
»An diesen blöden Brief will ich gar nicht denken.« Ich stieg aus dem Bett und zog Laken und Decke glatt.
Ich machte normalerweise nie mein Bett, daher dürfte sich Dad seinen Teil gedacht haben, als ich es tat. Aber er hatte sich nie so leicht an der Nase herumführen lassen wie die meisten Eltern meiner Freunde. Wahrscheinlich kam es daher, dass er all die Jahre im Profisurfer-Zirkus unterwegs gewesen war, Partys gefeiert und Mädchen nachgestellt hatte.
Dieses Leben sei nie wirklich sein Ding gewesen, hatte er immer behauptet, aber ich hatte die alten Surfermagazine gesehen und die Erinnerungsalben durchgeblättert, die Mom aus der Zeit vor meiner Geburt aufbewahrt hatte. Immer hatte Dad mitten im dicksten Trubel gesteckt - meistens mit Mom. Und das Merkwürdigste daran war, wie glücklich er auf diesen Bildern ausgesehen hatte. Wie glücklich sie beide ausgesehen hatten.
»Ich weiß, dass du nicht darüber reden willst, mein Schatz, aber wir haben keine Wahl. Die Dinge werden sich bald ändern. Du kannst dich nicht ewig verstecken.«
»Nichts wird sich verändern«, erwiderte ich. Ich habe sicher schon erwähnt, dass ich die Königin der Verdrängung bin, oder?
Er sah mich einen Augenblick an, dann kam er ins Zimmer und nahm mich fest in die Arme. Es war eine dieser starken, machtvollen Umarmungen, die ich aus meiner frühen Kindheit kannte - sie rochen nach Salzwasser und seinem markanten Aftershave und gaben mir das Gefühl grenzenloser Geborgenheit.
Wie ein Kind klammerte ich mich an ihn und versuchte alles festzuhalten, was ich hier und jetzt besaß, versuchte mir ein für alle Mal vor Augen zu halten, warum ich den Lockungen des Meeres widerstehen würde. Hier an Land hatte ich meine Familie, Mark, Brianne, Mickey und Logan. Ich hatte die Schule und das Surfen, Partys und meine Malerei. Die Kunsthochschule und das Auslandssemester in Europa.
Was erwartete mich schon dort draußen? Eine Mutter, die keinen Wert darauf gelegt hatte, bei uns zu bleiben - oder zurückzukommen und mir bei einer Verwandlung beizustehen, die ich um keinen Preis machen wollte.
Völlig unerwartet sah ich Konas Gesicht vor mir: ausdrucksvoll und schön und voller uraltem Wissen, das ich nicht einmal ansatzweise verstand. Ich hatte ihn nicht mehr
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