Deep Secrets - Berührung
auftreten wird. Die Hostess dagegen bringt die Lehrerin in mir zum Vorschein, und ich kämpfe gegen den Drang, sie zu umarmen und ihr zu sagen, dass sie ihre Sache gut macht. Ich bin eine Glucke. Das habe ich von meiner Mutter, genau wie die Liebe zur Kunst, nur dass ich mit dem Pinsel nicht so talentiert war wie sie. Das Mädchen wird vor meiner Bemutterung gerettet, weil Klavierspiel von irgendwo weiter hinten an mein Ohr dringt und meine Aufmerksamkeit auf den Hauptausstellungsraum lenkt. Ich bin voller Ehrfurcht. Es ist nicht mein erster Besuch in dem Dreihundert-Quadtratmeter-Wunder der
Allure
Gallery, aber das dämpft nicht meine Aufregung darüber, wieder hier zu sein.
Der Eingang führt in den Hauptausstellungsraum, der wie ein funkelndes weißes Wunder anmutet. Die Wände sind schneeweiß; der Boden glitzert wie weiße Diamanten. Die glänzenden Raumteiler wölben sich wie abstrakte Wellen, und alle sind geschmückt mit kontrastierenden, nach Aufmerksamkeit heischenden, bunten Kunstwerken.
Ich wende mich von dem Ausstellungsraum ab und halte einer Hostess hinter einem Podium meine Eintrittskarte hin. Sie ist hochgewachsen und elegant, mit langem rabenschwarzem Haar. »Rebecca?«, frage ich hoffnungsvoll.
»Nein, tut mir leid«, sagt sie. »Ich bin Tesse.« Sie hebt einen Finger und sieht durch die Glastüren einen Kunden an, um den sie sich offensichtlich kümmern muss.
Ich warte geduldig und hoffe, dass diese junge Frau mir Rebecca vorstellen kann. Ich lausche aufmerksam, während sie den neuen Gast zu einer kleinen Treppe dirigiert, die zu der Musik führt und anscheinend auch dorthin, wo Ricco Alvarez sein Meisterwerk enthüllen wird.
»Entschuldigen Sie«, sagt Tesse schließlich und schenkt mir nun ihre volle Aufmerksamkeit. »Sie suchen Rebecca. Bedauerlicherweise ist sie heute nicht dabei. Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Enttäuschung erfüllt mich. Eine Alvarez-Ausstellung zu versäumen ist nicht das, was man von jemandem in Rebeccas Position erwarten würde. Ich will wenigstens sicher sein, dass Rebecca wohlauf ist. Mich als Fremde auszugeben, ist vermutlich nicht zielführend. »Meine Schwester ist eine alte Freundin von Rebecca. Sie hat mir gesagt, ich solle ihr auf jeden Fall Hallo sagen und ihr Rebeccas neue Telefonnummer besorgen. Sie meinte, dass Rebecca bei großen Events wie diesem sicherlich anwesend wäre, und wird enttäuscht sein, dass ich sie verpasst habe.«
»Oh, das ist mir wirklich unangenehm«, sagt Tesse und wirkt aufrichtig besorgt. »Ich bin nicht nur neu hier, ich arbeite auch bloß Teilzeit, wie es gerade notwendig ist, daher höre ich nicht viel von dem, was intern los ist. Aber ich nehme an, Rebecca hat sich freigenommen. Mr Compton wird es bestimmt wissen.«
»Mr Compton?«
»Der Geschäftsführer«, sagt sie. »Er wird gleich mit der Präsentation beschäftigt sein, aber ich kann Sie nachher mit ihm bekannt machen, wenn Sie möchten.«
Ich nicke. »Ja. Bitte. Das wäre wunderbar.«
Das Klavierspiel bricht abrupt ab. »Sie werden gleich anfangen«, eröffnet Tesse mir. »Sie sollten sich einen Sitzplatz sichern, solange es noch geht. Nach der Präsentation werde ich Ihnen Mark sicher vorstellen können.«
Ein Kribbeln durchfährt mich. »Ich bin Ihnen wirklich dankbar«, sage ich, bevor ich mich auf den Weg zum Sitzbereich mache. Ich kann kaum glauben, dass ich gleich sehen werde, wie Alvarez eines seiner Bilder präsentiert.
Ein Platzanweiser im Smoking begrüßt mich am Fuß der Treppe und hilft mir, einen Sitzplatz zu finden. Und, oh Gott, ich brauche Hilfe. Vor der Mini-Bühne sind mindestens zweihundert Stühle aufgereiht. Sie sind vor einem Erkerfenster aufgestellt, das sich fast über die ganze Wand zieht, und nahezu alle sind besetzt.
Ich zwänge mich in eine mittlere Reihe, neben einen Mann, dessen ganze Erscheinung – vom langen hellblonden Haar bis zu den Jeans und dem Blazer – signalisiert: Ich bin ein Kunstrebell. Eine Frau in den Fünfzigern ist verärgert darüber, dass sie mich vorbeilassen muss. Ich kann nicht umhin zu bemerken, dass der Mann unglaublich gut aussieht, und ich bin nicht leicht zu beeindrucken. Schließlich weiß ich zu gut, dass Schönheit oft nur Fassade ist.
»Sie sind spät dran«, sagt der Mann, als kenne er mich, und ein freundliches Lächeln umspielt seine Lippen. Seine grünen Augen, die von feinen Fältchen umgeben sind, blitzen schelmisch. Ich schätze ihn auf ungefähr fünfunddreißig. Nein. Dreiunddreißig. Ich
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