Deep Secrets - Berührung
nehmen.«
Der Mann lacht spöttisch. »Setzen Sie ihr keine Flausen in den Kopf, sonst bringt sie mich ins Armenhaus. Sie bekommt eins für die Stelle über dem Kamin.«
»Geizkragen«, sagt die grauhaarige Frau und boxt ihm spielerisch in den Arm. Dann beäugt sie mich. »Also, sagen Sie mir, Schätzchen«, sie deutet auf zwei Bilder, »welches von beiden halten Sie für das bessere Genrebild?«
Ich betrachte die beiden Bilder, beide schwarz-weiß, obwohl Merit häufig Farbe benutzt. Eins ist ein Blick ins Stadtzentrum von San Francisco mitten in einem schweren Wirbelsturm. Das andere zeigt die Golden Gate Bridge in Wolken gehüllt, die Skyline der Stadt lugt dahinter hervor.
»Eine schwierige Entscheidung«, sage ich nachdenklich. »Beide haben etwas Dunkles, Beunruhigendes, und beide haben den ›Wow‹-Faktor.« Ich deute auf die stürmische Innenstadtszene. »Ich weiß zufällig, dass dieses Bild die Wirkung zeigt, die Hurrikan Nora 1997 auf die Stadt hatte. Das macht es für mich zu einem Genrebild, und es böte obendrein ein wenig Geschichte in ihrem Wohnzimmer.«
»Sie haben ja so recht, Liebes«, sagt die Frau, und ihre Augen leuchten auf. »Das ist es.« Sie wirft ihrem Mann einen erwartungsvollen Blick zu. »Es ist vollkommen. Ich muss es haben.«
»Dann sollst du es bekommen«, erklärt ihr Ehemann.
Ich lächle über das Glück der Frau, aber nicht ohne ein wenig Neid. Liebend gern würde auch ich heute Abend mit einem Werk nach Hause gehen.
»Ich höre, Sie haben eine Frage an mich«, erklingt eine Männerstimme und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Mann mit sorgfältig geschnittenem blondem Haar tritt zu uns in den Ausstellungsraum. Er ist hochgewachsen und selbstbewusst, und er wirkt, als sei er der Hausherr. Und seine Augen – sie sind von einem so einzigartigen Silbergrau, wie ich es noch nie gesehen habe.
»Ich bin Mark Compton«, stellt er sich vor. »Der Geschäftsführer der Galerie. Und es sieht so aus, als schuldete ich Ihnen mehr als nur eine Antwort auf Ihre Frage. Offenbar muss ich Ihnen dafür danken, dass Sie meinen Kunden behilflich waren.« Er betrachtet das Ehepaar. »Ich nehme an, Sie haben Ihre Wahl getroffen?«
»Das haben wir in der Tat«, sagt der Mann. »Wir würden es gern heute Abend mit nach Hause nehmen, falls das möglich ist.«
»Großartig«, erwidert Compton. »Wenn Sie mir einen Moment Zeit lassen, werde ich es für Sie verpacken lassen.«
Er bedeutet mir, ihm zu folgen, doch ich schüttle den Kopf. »Ich habe es nicht eilig. Helfen Sie den Herrschaften bei ihrem Kauf, ich bin auch später noch zu finden.«
Er betrachtet mich ein wenig zu eindringlich, und diese silbrigen Augen sind voller Interesse, sodass ich plötzlich verlegen werde. Zweifellos ist er attraktiv, aber da ist auch noch etwas Rohes und Animalisches an diesem Mann, etwas beinahe Raubtierhaftes.
»Also schön«, sagt er leise. »Ich werde mich gleich um Sie kümmern.« Es ist keine doppeldeutige Bemerkung, aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass er mehr sagt, als die Worte verraten. Sein Blick wandert zu dem Paar. »Dann kommen Sie, lassen Sie uns die Sache abwickeln.«
Das Ehepaar bedankt sich bei mir für meine Hilfe, und die beiden eilen hinter Mark her. Als sie fort sind, oder besser, sobald Mark Compton außer Sicht ist, löst sich meine Anspannung. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich die Luft angehalten hatte. Ich schüttle mich innerlich, und das nicht nur wegen der Art, wie seine Augen mich abgeschätzt haben, so … ja, wie? Intim? Ach was. Meine Fantasie spielt von der Lektüre der Tagebücher immer noch verrückt. Ich frage mich, ob er der von Rebecca beschriebene Mann ist. Immerhin hat er diesen animalischen Magnetismus an sich, den ihre Aufzeichnungen enthüllen. Nun, andererseits gilt das auch für Ricco Alvarez. Gütiger Himmel, ich treibe mich noch selbst in den Wahnsinn.
Ein Angestellter unterbricht mich, bevor ich noch mehr verrückte Gedanken wälzen kann, und nimmt das von dem Ehepaar gekaufte Werk ab. Ich zwinge mich, mit den herbeifantasierten Analysen aufzuhören und mich zu entspannen, und schwelge darin, mir ganz allein die neuesten Werke Chris Merits anzusehen.
»Sie mögen Merit?«, erklingt eine schon fast vertraute Männerstimme.
Als ich mich umdrehe, sehe ich den Mann, der während der Präsentation neben mir gesessen hat. Jetzt steht er in der Tür. Ich nicke eifrig. »Sehr sogar. Ich wünschte, sie hätten einige seiner Porträts hier,
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