Defekt
hat, ist er wieder gegangen. Auch durch eine Tür?“, erkundigt sie
sich bei Reba.
„Ich denke schon. Die Fensterscheiben bestehen aus
einzelnen auf- und zuklappbaren Lamellen. Um sich da durchzuwinden, müsste man
ein Schlangenmensch sein.“
„Dann sollten wir zuerst diese Tür besprühen und uns
dann nach hinten zum Schlafzimmer vorarbeiten, wo sie ermordet wurde“, schlägt
Lucy vor. „Anschließend machen wir dasselbe mit den übrigen Türen. In drei
Richtungen.“
„Das wären also diese Tür, die Küchentür, die
Schiebetüren, die vom Esszimmer auf die Veranda führen, und die Schiebetüren
der Veranda selbst“, erwidert Reba. „Laut Pete waren bei seiner Ankunft beide
Schiebetüren unverschlossen.“
Gefolgt von Lucy und Lex, tritt sie in den Flur. Sie
ziehen die Tür hinter sich zu.
„Wissen wir inzwischen mehr über den
Zitruskontrolleur, den Sie und Dr. Scarpetta etwa um die Zeit, als die alte
Dame erschossen wurde, auf dem Grundstück beobachtet haben?“, fragt Lucy. Im
Beruf bezeichnet sie Scarpetta nie als ihre Tante.
„Ich habe einiges in Erfahrung bringen können.
Erstens arbeiten die Kontrolleure immer zu zweit, während der Mann, den wir
gesehen haben, allein war.“
„Sind Sie sicher, dass sich sein Kollege nicht
einfach außer Sichtweite befand? Vielleicht im Vorgarten?“, hakt Lucy nach.
„Mit Gewissheit können wir das natürlich nicht
sagen. Aber wir haben nur eine Person bemerkt. Außerdem gibt es keinerlei
Unterlagen darüber, dass überhaupt ein Kontrolleur in dieses Viertel geschickt
wurde. Darüber hinaus hat er eine Pflückstange verwendet, so ein langes Ding
mit einer Zange, mit dem man Früchte von hoch gelegenen Ästen herunterholen
kann. Meines Wissens benutzen Kontrolleure so etwas nicht.“
„Weshalb sollte er so ein Gerät mit sich
herumschleppen?“, wundert sich Lucy.
„Er hat es zerlegt und in einer großen schwarzen
Tasche verstaut.“
„Ich frage mich, was sonst noch in dieser Tasche
war“, sagt Lex.
„Ein Gewehr zum Beispiel“, erwidert Reba. „Wir
müssen sämtliche Alternativen in Erwägung ziehen“, stellt Lucy fest.
„Ich würde sagen, dass wir es mit einer riesengroßen
Verarsche zu tun haben“, fügt Reba hinzu. „Ich, eine Polizistin, bin am
anderen Ufer deutlich zu sehen. Bei mir ist Dr. Scarpetta, und wir schauen uns
ganz offensichtlich auf dem Grundstück um. Und währenddessen glotzt der Täter
die ganze Zeit zu uns rüber und tut so, als würde er Bäume untersuchen.“
„Möglich, aber wir haben keine Gewissheit“, erwidert
Lucy. „Wir müssen sämtliche Alternativen in Erwägung ziehen“, wiederholt sie.
Lex kauert sich auf den kühlen Fliesenboden und öffnet
den Tatortkoffer. Nachdem sie alle Rollläden im Haus geschlossen haben, ziehen
sie Einweg-Schutzkleidung an. Dann stellt Lucy das Stativ auf und befestigt
Kamera und Auslöser, während Lex das Luminol anmischt und in die schwarze
Pumpflasche umfüllt. Sie fotografieren den Bereich gleich hinter der Tür und
löschen dann das Licht. Schon der erste Versuch bringt ein Ergebnis.
„Heiliger Strohsack!“, hallt Rebas Stimme durch die
Dunkelheit.
Blaugrüne Fußabdrücke leuchten deutlich auf, als Lex
den Boden besprüht. Lucy bannt alles auf Film.
„Der Täter muss ziemlich viel Blut an den Schuhen
gehabt haben, um solche Abdrücke zu hinterlassen, nachdem er bereits quer
durchs ganze Haus gelaufen war“, sagt Reba.
„Nur eines stimmt nicht“, wendet Lucy ein. „Die
Fußabdrücke gehen in die falsche Richtung. Sie führen nicht hinaus, sondern
herein.“
46
Mit seinem langen schwarzen Wildledermantel und dem
silbergrauen Haar, das unter einer Baseballkappe mit der Aufschrift „Red Sox“
hervorlugt, wirkt er abweisend, aber auch sehr attraktiv. Wie immer, wenn
Scarpetta Benton eine Zeit lang nicht gesehen hat, ist sie wieder von seiner
stilvollen und makellosen Eleganz beeindruckt. Sie will ihm nicht böse sein,
denn das erträgt sie nicht. Ihr wird ganz flau.
„Wie immer haben wir uns gefreut, dass Sie mit uns
geflogen sind. Rufen Sie uns einfach an, wenn Sie wissen, wann Sie abreisen
wollen“, sagt Bruce, der Pilot, und schüttelt Scarpetta freundlich die Hand.
„Melden Sie sich, falls Sie etwas brauchen. Sie haben ja meine Nummern.“
„Danke, Bruce“, antwortet Scarpetta.
„Entschuldigen Sie die Verspätung“, wendet er sich
an Benton. „Der Gegenwind wurde immer stärker.“
Benton ist nicht in leutseliger Stimmung,
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