Defekt
„Bleiche.“
„Und weiter?“
„Kupfer.“
Lucy beginnt, mit weit ausholenden Bewegungen den
Garten zu besprühen. Sie geht weiter und sprüht, bis das Gras sich blaugrün
verfärbt und wie ein unheimlich schimmernder Ozean aufleuchtet, wo das Luminol
darauf trifft. So etwas hat sie noch nie gesehen.
„Es muss ein Antipilzmittel sein“, verkündet sie.
„Ein Kupferspray, das man zur Vorbeugung gegen Zitrusbrand verwendet. Leider
wirkt es nicht immer. Man braucht sich nur die angesteckten Bäume mit den
hübschen roten Streifen am Stamm anzuschauen“, meint Lucy.
„Offenbar ist jemand quer durch den Garten ins Haus
gegangen“, spricht Lex weiter. „Ein Zitruskontrolleur zum Beispiel.“
„Wir müssen rauskriegen, wer das war“, sagt Lucy.
48
Marino verabscheut die Nobelrestaurants in South
Beach und parkt seine Harley nie neben den japanischen Reiskochern, die um
diese Uhrzeit stets entlang der Strandpromenade stehen. Langsam und mit
dröhnendem Motor donnert er den Ocean Drive entlang und freut sich, dass sein
Auspufflärm die geschniegelten Gäste stört, die bei Kerzenschein an kleinen
Tischchen vor den Lokalen sitzen und aromatisierte Martinis oder Wein trinken.
Nur wenige Zentimeter hinter einem roten Lamborghini
bremst Marino ab, kuppelt aus und jagt den Motor hoch, damit auch ja jeder
merkt, dass er da ist. Der Lamborghini schiebt sich ein Stückchen vorwärts,
Marino folgt, wobei er fast die hintere Stoßstange berührt. Wieder bringt er
den Motor auf Touren, der Lamborghini rollt langsam weiter, und Marino hängt
sich an ihn dran. Seine Harley brüllt wie ein Löwe aus Stahl und Chrom. Im
nächsten Moment streckt sich ein nackter Arm aus dem offenen Fenster des
Lamborghini, und ein Mittelfinger mit einem langen roten Nagel wird
hochgereckt.
Grinsend lässt Marino erneut den Motor losbrüllen,
schlängelt sich zwischen den Autos durch, hält neben dem Lamborghini an und
betrachtet die dunkelhäutige Frau hinter dem Lenkrad. Sie ist etwa zwanzig und
trägt offenbar nichts weiter als eine Jeansweste und Shorts. Ihre Beifahrerin
ist weniger Aufsehen erregend, gleicht das aber durch ihren Aufzug - ein
schmales schwarzes Stretchband anstelle eines Oberteils, dazu Shorts, die kaum
das Wichtigste bedecken - aus.
„Wie macht man mit solchen Fingernägeln eigentlich
Hausarbeit?“, fragt Marino die Fahrerin, wobei er das Dröhnen zweier
PS-starker Motoren überbrüllen muss. Er formt seine riesigen Hände zu
Katzenkrallen, um zu verdeutlichen, dass er damit ihre langen roten Nägel -
vermutlich künstliche Verlängerungen aus Acryl - meint.
Sie wendet ihr hübsches, ein wenig zickiges Gesicht
zur Verkehrsampel und hofft vermutlich verzweifelt, diese möge endlich auf
Grün umspringen, damit sie diesem in schwarzes Leder gehüllten Proleten
entrinnen kann. „Hau ab von meinem Auto, Arschloch“, zischt sie nur.
Sie hat einen starken Latino-Akzent.
„Aber so etwas sagt eine Dame doch nicht“, erwidert
Marino. „Jetzt bin ich wirklich gekränkt.“
„Ach, fick dich doch ins Knie.“
„Was haltet ihr beiden Süßen davon, wenn ich euch
auf einen Drink einlade? Danach können wir ja zum Tanzen gehen.“
„Lass uns in Ruhe, du Wichser“, entgegnet die
Fahrerin.
„Sonst rufe ich die Polizei“, ergänzt die Frau mit
dem schwarzen Stretchband als Oberteil.
Marino tippt sich an den Helm - den mit den
Aufklebern in Form von Einschusslöchern - und schießt davon, als die Ampel grün
wird. Der Lamborghini ist noch im ersten Gang, als er schon um die Ecke in die
14th Street einbiegt. Er stoppt das Motorrad an einer Parkuhr vor Tattoo's By
Lou und Scooter City, stellt den Motor ab und überquert die Straße. Dort liegt
die älteste Kneipe von South Beach und die einzige, in die Marino in dieser
Gegend überhaupt einen Fuß setzen würde:
Mac's Club Deuce, von den Stammgästen nur Deuce
genannt, was aber nicht mit Marinos Harley Deuce zu verwechseln ist. Wenn er
sich einen Doppel-Deuce-Abend gönnt, fährt er auf seiner Deuce ins Deuce, ein
schummriger Laden mit einem schwarzweißen Boden im Schachbrettmuster und einem
Billardtisch. Die Neonreklame über dem Tresen stellt eine nackte Frau dar.
Rosie zapft ihm ein Budweiser vom Fass, ohne dass er
eigens bestellen müsste.
„Erwartest du jemanden?“ Sie schiebt das hohe Glas
mit der Schaumkrone über die alte Eichentheke.
„Du kennst sie nicht. Du kennst heute Abend
überhaupt niemanden“, diktiert er ihr das
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