Defekt
Drehbuch.
„Aha.“ Sie schenkt einem alten Mann, der allein am
Tresen sitzt, ein Wasserglas Wodka ein. „Ich kenne keine Menschenseele hier,
am allerwenigsten euch beide. Meinetwegen. Wahrscheinlich ist es sogar besser,
euch nicht zu kennen.“
„Brich mir nicht das Herz“, erwidert Marino.
„Könntest du noch ein Stück Limette reintun?“ Er schiebt das Bier wieder zu ihr
hinüber.
„Was sind wir heute wieder schick.“ Sie versenkt ein
paar Limettenschnitze im Glas. „Schmeckt es dir so?“
„Wirklich gut.“
„Ich habe nicht gefragt, ob es gut ist, sondern ob
es dir so schmeckt.“
Wie immer achten die übrigen Stammgäste nicht auf
sie. Die üblichen Verdächtigen sitzen auf ihren Barhockern am Tresen und
starren mit glasigen Augen auf den großen Fernseher, ohne dem Baseballspiel zu
folgen, das gerade läuft. Marino kennt ihre Namen nicht, aber Namen spielen
hier auch keine Rolle. Da sind der dicke Mann mit dem Ziegenbärtchen und die noch
übergewichtigere Frau, die ständig jammert. Ihr Freund wiegt nur
schätzungsweise ein Drittel von ihr und erinnert an ein Frettchen mit gelben
Zähnen. Marino fragt sich, wie die beiden es wohl treiben, und stellt sich
einen Jockey auf einem sich aufbäumenden Bullen vor. Alle Gäste rauchen. An
einem Doppel-Deuce-Abend steckt Marino sich normalerweise auch ein paar
Zigaretten ins Gesicht, ohne einen Gedanken an Dr. Seif zu verschwenden. Sein
sündiges Geheimnis wird diese vier Wände nicht verlassen.
Er nimmt sein Bier mit Limette mit zum Billardtisch
und wählt ein Queue aus der bunt gemischten Sammlung, die in einer Ecke lehnt.
Dann ordnet er die Kugeln an, umrundet, eine Zigarette im Mundwinkel, den Tisch
und reibt das Ende seines Queue mit Kreide ein. Dabei beobachtet er, wie das
Frettchen aufsteht und, sein Bier in der Hand, auf die Toilette geht. Das tut
er immer. Offenbar befürchtet er, jemand könnte ihm das Glas klauen. Nichts und
niemand entgeht Marinos aufmerksamem Blick.
Ein magerer Mann, anscheinend ein Obdachloser -
struppiger Bart, Pferdeschwanz, dunkle, schlecht sitzende Kleiderkammer-Klamotten,
schmutzige Kappe mit dem Emblem der Miami Dolphins und eine seltsame
rosafarbene Brille auf der Nase -, nähert sich unsicheren Schrittes dem Tresen,
zieht sich einen Hocker in die Nähe der Tür und stopft sich einen Waschlappen
in die Gesäßtasche seiner dunklen, schlotterigen Hose. Draußen auf dem Gehweg
schüttelt ein junger Typ eine defekte Parkuhr, die offenbar gerade sein Geld
geschluckt hat.
Marino versenkt zwei einfarbige Kugeln und späht
durch den Zigarettenrauch.
„Sehr gut. Immer nur rein mit den Dingern!“, ruft
Rosie ihm zu, während sie ihm das nächste Bier einschenkt. „Wo hast du denn die
ganze Zeit gesteckt?“
Sie ist sexy, aber mit allen Wassern gewaschen, und
trotz ihrer zierlichen Figur würde kein Mensch, ganz gleich, wie betrunken er
auch sein mag, es wagen, sich mit ihr anzulegen. Marino hat einmal beobachtet,
wie sie einem etwa einhundertfünfzig Kilo schweren Kerl, der einfach nicht
aufhören wollte, ihr an den Hintern zu grapschen, mit einer Bierflasche das
Handgelenk gebrochen hat.
„Lass doch das Kellnern und komm her“, erwidert
Marino und zielt nach der Kugel Nummer acht.
Die Kugel eiert in die Mitte des mit grünem Filz
bezogenen Tisches und bleibt dort liegen.
„Scheiß drauf“, murmelt er, lehnt das Queue an den
Tisch und schlendert zur Jukebox, während Rosie zwei Flaschen Miller Lite
öffnet und sie vor die dicke Frau und das Frettchen hinstellt.
Rosie ist immer in Aktion und erinnert an einen auf
höchster Stufe laufenden Scheibenwischer. Sie trocknet sich die Hände an ihrer
Jeans ab. Marino wählt einige beliebte Songs aus den Siebzigern aus.
„Was glotzt du so?“, fragt er den obdachlos
aussehenden Mann an der Tür. „Lust auf ein Spiel?“
„Keine Zeit“, antwortet Marino, immer noch mit der
Jukebox beschäftigt, ohne sich umzudrehen.
„Ohne Bestellung wird hier nicht gespielt“, wendet
sich Rosie an den obdachlos aussehenden Mann, der an der Tür herumlungert.
„Das hier ist kein Wartesaal. Wie oft soll ich es dir noch erklären?“
„Ich dachte, er hätte vielleicht Lust auf ein
Spielchen.“ Der Mann zieht den Waschlappen aus der Tasche und nestelt nervös
daran herum.
„Und ich sage dir dasselbe wie beim letzten Mal, als
du nichts getrunken hast und nur aufs Klo gegangen bist: Raus!“, verkündet
Rosie, die Hände in die Hüften gestemmt. „Wenn du bleiben willst,
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