Defekt
Benton. „Das ist nicht
Voraussetzung.“
Es wäre sogar ein Verstoß gegen die
Datenschutzbestimmungen, von den Patienten einen Ausweis zu verlangen, sie zu
fotografieren oder auf sonstige Weise ihre Identität zu ermitteln. Benton geht
die Fragen auf dem Formular durch. Er erkundigt sich bei Kenny, ob er
Zahnersatz oder eine Spange, sonstige Implantate, Metallplatten oder Schienen
trägt und wovon er lebt. Er fragt nach weiteren Allergien, abgesehen von der
gegen Katzen, nach Problemen mit der Atmung, anderen Erkrankungen und ob Kenny
irgendwelche Medikamente nimmt. Dann will er wissen, ob er je eine Kopfverletzung
erlitten oder mit dem Gedanken an Mord oder Selbstmord gespielt hat und ob er
zurzeit in Therapie oder auf Bewährung ist. Die Antwort lautet immer nein. Mehr
als ein Drittel der angeblich normalen Personen, die sich für so eine Studie
melden, müssen abgelehnt werden, da sie alles andere als normal sind. Doch
Kenny macht bis jetzt einen viel versprechenden Eindruck.
„Wie war ihr Trinkverhalten im vergangenen Monat?“,
arbeitet Benton weiter die Liste ab. Er verabscheut diese Tätigkeit.
Telefonbefragungen sind nichts weiter als
langweilige Faktenhuberei. Doch wenn er das nicht selbst erledigt, landet er
früher oder später doch am Telefon, weil er den von Assistenten und anderen
angelernten Kräften gesammelten Informationen nicht traut. Es bringt ihn nicht
weiter, wenn er sich einen möglichen Probanden von der Straße holt, nur um
nach unzähligen teuren Untersuchungen, Befragungen, Bewertungen,
neurokognitiven und Labortests und tomographischen Aufnahmen des Gehirns
festzustellen, dass die Testperson ungeeignet, unzuverlässig oder sogar
gefährlich ist.
„Tja, vielleicht hie und da ein Bierchen“, sagt
Kenny. „Ich trinke nicht viel und rauche auch nicht. Wann kann ich anfangen?
In der Anzeige hieß es, dass ich achthundert Dollar dafür bekomme und Sie die
Taxikosten übernehmen. Ich habe nämlich kein Auto und keine andere
Fahrmöglichkeit. Außerdem könnte ich das Geld gut gebrauchen.“
„Könnten Sie diesen Freitag um vierzehn Uhr zu uns
kommen? Passt Ihnen das?“
„Für die Magnetuntersuchung?“
„Richtig, die Computertomographie.“
„Nein. Aber Donnerstag um fünf hätte ich Zeit.“
„Gut, dann also am Donnerstag um siebzehn Uhr.“
Benton notiert den Termin.
„Und Sie schicken mir ein Taxi.“
Benton bestätigt das, erkundigt sich nach der
Adresse und ist verblüfft, als er Kennys Antwort hört. Dieser bittet ihn
nämlich, das Taxi zum Bestattungsinstitut Alpha & Omega in Everett zu
schicken. Benton hat noch nie von diesem Institut gehört, das in einem nicht
sehr ansehnlichen Viertel von Boston liegt.
„Warum ein Bestattungsinstitut?“, fragt er und
klopft mit dem Stift auf das Formular.
„Das ist in der Nähe von dem Haus, in dem ich wohne.
Außerdem gibt es dort ein Münztelefon.“
„Kenny, ich möchte, dass Sie mich morgen noch einmal
anrufen, um den Termin am nächsten Tag, also Donnerstag siebzehn Uhr, zu
bestätigen. Einverstanden?“
„Gut. Ich melde mich wieder von diesem Telefon.“
Wesley legt auf und schlägt im Telefonbuch das
Bestattungsinstitut Alpha & Omega in Everett nach. Es gibt dieses Unternehmen
wirklich. Er ruft dort an und wird auf Warteschleife geschaltet, wo er sich The Reason von der kalifornischen Popgruppe Hoobastank anhören muss.
Der Grund wofür?, denkt er gereizt. Zum Sterben?
„Benton?“
Als er aufblickt, steht Dr. Susan Lane, einen
Bericht in der Hand, in der Tür.
„Hallo“, erwidert er und legt auf.
„Ich habe hier ein paar Neuigkeiten, die Ihren
Freund Basil Jenrette betreffen“, sagt sie und mustert ihn prüfend. „Sie sehen
müde aus.“
„Das ist bei mir mittlerweile Normalzustand. Ist die
Analyse schon fertig?“
„Vielleicht sollten Sie nach Hause fahren, Benton.
Sie brauchen offenbar dringend Ruhe.“
„Ich grüble zu viel und gehe zu spät ins Bett.
Erzählen Sie mir, wie das Gehirn unseres lieben Basil funktioniert. Ich platze
vor Neugier.“
Sie reicht ihm eine Kopie der Analyse der
strukturellen und funktionalen Aufnahme und beginnt zu erklären. „Gesteigerte
Aktivität der Amygdala als Reaktion auf affektive Reize. Insbesondere auf
offen oder verdeckt dargestellte Gesichter, die Angst oder sonstige negative
Gefühle ausdrücken.“
„Das ist ein interessanter Aspekt“, sagt Benton.
„Möglicherweise erfahren wir so, nach welchen Kriterien diese Leute ihre Opfer
auswählen. Ein
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