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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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sagen. Dieses eine Wort genügte. Es war ein Urteilsspruch, der keinen Widerspruch zuließ, ein Urteil, das ein ganzes Geschlecht zur Hinrichtung bei Tagesanbruch verurteilte.
    Ich würde sie nicht mehr danach fragen. Es gab auch für sie keinen Grund zu lügen. Also ging ich zum nächsten Punkt über. »Gunnar Våge«, sagte ich.
    Es geschah etwas mit ihr. Sie schloss die Augen und schüttelte heftig den Kopf. Als sie die Augen wieder öffnete, war ihr Blick klarer, und sie war präsenter. »Ja? Was ist mit ihm?«
    »Warum hast du mir nicht erzählt, dass du ihn kanntest?«
    Sie zögerte. »Ich verstehe nicht … Ich kann nicht sehen, was das mit – was das zu bedeuten haben soll für – das hier. Ich habe überhaupt nicht an ihn gedacht, bis du …«
    »Ihr wart einmal zusammen.«
    »Ja, aber du meine Güte, Varg, das ist eine Ewigkeit her! Und Jahre später denke ich doch nicht mehr an jemanden, mit dem ich vor langer Zeit mal ein paar Monate zusammen war.«
    »Aber er hat dich geliebt.«
    »Davon – weiß ich nichts«, sagte sie schroff.
    »Nein«, sagte ich. »Nein, vielleicht nicht. Aber findest du es nicht merkwürdig, dass er plötzlich da war, im gleichen Stadtteil wie du, ja im Block nebenan?«
    »Nein, warum denn? Es gibt doch so viele Menschen, die man auf diese Weise wiedertrifft. Du gehst auf eine Feier, und plötzlich triffst du einen Menschen, den du zehn Jahre nicht gesehen hast. Du gehst ins Kino, und in der Reihe vor dir sitzt eine Frau, mit der du vor zwanzig Jahren zur Schule gegangen bist.«
    »Aber du hast dich mit Gunnar Våge getroffen, und du hast mit ihm gesprochen.«
    »Mich mit ihm getroffen? Ich bin ihm ein paar Mal begegnet, draußen auf der Straße, und wir haben ein paar Worte gewechselt. Wir hatten nicht mehr viel gemeinsam.«
    »Aber früher schon …«
    »Gunnar und ich – doch. Wir hatten es gar nicht so schlecht zusammen, zwei Monate lang, in einem Sommer vor langer Zeit. Das war, bevor ich Jonas begegnete. Ja, das war sogar in dem Herbst, als ich Jonas kennen lernte. Wenn er mir nicht begegnet wäre, wer weiß? Aber ich bin Jonas begegnet, und das war’s. Danach habe ich keinen anderen Mann mehr zwei Mal angeschaut. Es gab nur ihn. So ist es, wenn man liebt, oder?«
    »Ich habe davon gehört«, antwortete ich. »Also war es Jonas, der – die Begegnung mit Jonas führte dazu, dass du mit Gunnar Våge Schluss gemacht hast – damals?«
    »Ja. Vielleicht. Aber – das bedeutet nicht …«
    »Was bedeutet das nicht?«
    »Du glaubst doch nicht etwa – du meinst doch wohl nicht-«
    »Was denn? Was meine ich doch wohl nicht?«
    »Nein. Das ist zu lächerlich, Varg. Es ist hundert Jahre her, und es hat nichts mit – es kann nichts mit dieser Geschichte zu tun haben.«
    »Du brauchst nicht -« Ich merkte, dass ich zu heftig angesetzt hatte. Meine Stimme war zu laut. Ich hielt inne und fuhr mit leiserer Stimme fort. »Du brauchst nicht andere zu verteidigen, Wenche. Soll Gunnar Våge sich selbst verteidigen, wenn das notwendig sein sollte. Er hat das passende Talent zum Reden. Du bist es, die wir freikriegen wollen, oder?«
    »Schon, aber …« Der Schleier legte sich wieder über ihre Augen. Ihre Stimme verlor an Farbe, wurde wieder neutral. »Es ist hoffnungslos, Varg. Sie werden mich verurteilen. Ich weiß es. Sie werden mich für den Rest meines Lebens einsperren, und ich werde Roar nie wieder sehen. Vielleicht ist das auch okay. Es ist mir egal. Jonas ist tot, und er hatte mich schon verraten. Was habe ich – da draußen – noch zu tun?«
    Ich beugte mich wieder über den Tisch. »Alles, Wenche! Du bist jung, zum Teufel. Du kannst neu anfangen. Du kannst neue Männer treffen, einen neuen Mann! Wir lieben nicht nur einen einzigen Menschen im Laufe unseres Lebens. Wir lieben mehrere – Mütter und Töchter, Väter und Söhne, Ehemänner und Ehefrauen, Liebhaber und Geliebte. Du wirst einem anderen begegnen – wenn nicht dieses, dann nächstes Jahr; wenn nicht heute, dann morgen. Du darfst nicht aufgeben, nicht jetzt. Verstehst du?«
    Sie schwieg.
    Ich sagte: »Nachdem – nachdem Jonas dich verlassen hat, und du wusstest, dass Gunnar Våge in der Nähe war, hast du da nie daran gedacht – die Beziehung neu aufleben zu lassen? Könntest du – hast du nie daran gedacht, dass du eine neue Beziehung mit ihm anfangen könntest? Er war doch ein Mensch, den du kanntest, und ihr habt euch gut verstanden – damals.«
    »Nein, Varg. Nein, niemals.« Dann schluckte sie heftig, und

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