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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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spannten, und die Leute liefen mit Regenschirmen in Verteidigungsposition auf hohe Hauswände zu.
    Dann riss der Himmel in der Mitte durch. Ein Blitz zerriss die Dunkelheit in zwei große Stücke, gefolgt von einem Donnerge­töse, das klang, als seien Fløien und Ulriken zusammengestoßen und explodierten nun in Tausende von Teilen. Wie polternde Hinkelsteine fiel der Donner zwischen die Berge. Ein Schwarm kreideweißer Möwen wurde von einer unsichtbaren Hand in Richtung Askøy geschleudert, und sie schrien erschrocken dem Schicksal zu und schlugen verzweifelt mit den Flügeln. Eine Taube landete auf dem Gesims vor meinem Fenster und flüchtete sich in eine Ecke, wo sie sitzen blieb, mit schiefem Kopf und Stecknadelaugen, während sie darauf wartete, dass die Stimme des Jüngsten Gerichts verstummte und die Schuldigen von den Unschuldigen geschieden würden.
    Und dann kam der Regen.
    Es war, als habe sich das Meer wie eine Wand vor der Stadt erhoben. Die Regentropfen waren groß, schwer und grau, und sie fielen nicht einzeln, sondern in Kaskaden. Sie explodierten auf Gehwegen und Straßen und füllten die Plastikplanen auf dem Marktplatz im Laufe von Sekunden, sodass sie schwer wie Hängematten wurden, und sie ließen die Rinnsteine zu Bergbächen voller braunem, sprudelndem Dreckwasser anschwellen, die mit der Geschwindigkeit eines Orkans auf die Gullys zuschossen.
    Im Laufe weniger Minuten waren die Straßen menschenleer. Sie standen an Häuserwänden, in Eingängen, in Türöffnungen und an den Eingängen der öffentlichen Toiletten, gut geschützt unter der Straßenhöhe. Die Läden füllten sich mit Menschen, die sich nur etwas umsehen wollten, und in den Cafeterias saß man zu viert an einem Tisch, und keiner kannte den anderen.
    Ich saß allein in meinem Büro und verfolgte das gigantische Schauspiel. Neue Blitze schlugen wie Feuerquellen über der Stadt nieder. Neues Donnergrollen brach über uns herein. Eine Sintflut reinigte die Stadt für die neue Woche, wusch alle frischen Spuren des Wochenendes weg.
    Es dauerte fast eine halbe Stunde, dann war es vorbei. Die Blitze starben dahin wie ferne SOS-Signale von einer Taschenlampe mit schlechter Batterie irgendwo drüben in Fana. Der Donner wurde schwächer und war zum Schluss nur noch ein Grummeln aus einem Bauch in einem Zimmer am Ende des Korridors. Der Regen versiegte und legte sich wie glänzende Seide über die Hausdächer, die Bäume am Berghang und weiter unten am Strandkai, auf die farbenprächtigen Regenschirme der Menschen, die sich einer nach dem anderen wieder aus ihren Verstecken heraustrauten, mit nach oben gewandten, weißen Gesichtern. Es war vorbei, und das Leben konnte weitergehen.
    Ich blätterte schnell im Telefonbuch, fand die richtige Nummer und rief Richard Ljosne an. Als ich ihn am Apparat hatte, sagte ich: »Ljosne? Hier ist Veum.«
    »Ach? Hallo. Das ist ja nett.« Ich lauschte auf seine Stimme, sah ihn vor mir: Ein Wolf – mit wolfsgrauem Haar, auf der Lauer hinter seinem Schreibtisch, mit Stahl in Beinen und Armen.
    Ich sagte: »Ich habe gerade mit Wenche gesprochen. Ich soll dich nicht grüßen.«
    »Äh, was? Was meinst du?«
    »Sie bat mich, dich nicht zu grüßen.«
    »Nein?«
    »Nein. Sie war nicht besonders begeistert von dem, was du mir erzählt hast.«
    »Was ich – aber hast du es ihr denn …«
    »Es war gelogen, stimmt’s – Ljosne? Du hast letzten Dienstag nicht mit ihr geschlafen – oder? So weit kamst du nicht. Dieses eine Mal musstest du passen.«
    Ich lauschte auf die Stille. Der Himmel war schon wieder gefleckt von Licht. Es regnete nicht mehr. »Was – Ljosne?«
    Seine Stimme kam spät und langsam. »Na ja. Vielleicht nicht«, sagte er.
    »Aber warum hast du gelogen, Ljosne?«
    Ich hätte ihn gern gesehen, aber ich hatte keine Zeit, den weiten Weg zu fahren, um sein dummes Gesicht zu sehen, als er sagte: »Du weißt doch wie das ist, Veum. Unter uns Männern.«
    »Ja? Nein. Nein, das weiß ich nicht. Erzähl es mir, du Mann von Welt und Frauenkenner.«
    »Hör zu, Veum. Ich – du brauchst dich nicht lustig zu machen. Ich weiß, dass ich – ich merke selbst, wenn ich eine Dummheit gemacht habe. Ab und zu ist es schlauer, die Schnauze zu halten.«
    »Nicht nur ab und zu, sondern fast immer. Aber du hast mir immer noch nicht erzählt, wie das ist. Unter uns Männern.«
    »Gut, gut, gut. Nein, ich habe nicht mit ihr geschlafen. Das ist wahr. Aber mein loses Mundwerk ist eben mit mir durchgegangen, verstehst

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