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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Waldes hinter mir bewusst. Es war, als kämen die Bäume auf mich zugeschlichen, wie verkleidete Indianer in Disneys »Peter Pan«. Ich drehte mich schnell herum, schwang den Lichtkegel der Taschenlampe wie eine Lanze durch die Dunkelheit. Er traf nichts, das sich bewegte. Der Wald stand so, wie zuvor.
    Das bedeutete nicht, dass da draußen nicht jemand sein konnte. Es konnte ein Mensch in der Dunkelheit stehen, der soeben gemordet hatte. Er konnte noch immer das Messer in der Hand halten, ein Messer, an dem das Blut noch nicht getrocknet war. Und ein Mensch, der einmal ein Messer gebraucht hatte, gebraucht es leicht noch ein zweites Mal. Besonders wenn es nicht das zweite, sondern das dritte Mal ist. Denn der Mensch, der vielleicht irgendwo draußen im Dunkeln stand und mich beobachtete, war wahrscheinlich derselbe Mensch, der auch Jonas Andresen umgebracht hatte.
    Aber Joker – warum war Joker tot? Joker, der neben mir auf dem Platz vor dem Block gestanden hatte, als Jonas Andresen getötet wurde? Hatte er von dort unten etwas gesehen, nachdem ich ihn verlassen hatte? Hatte er, während ich die Treppen hinauflief, einen Menschen auf der anderen Seite des Hauses die Treppen hinunterlaufen sehen? Hatte er etwas gesehen und versucht, daraus Geld zu schlagen? Hatte er ein Treffen mit einem Menschen vereinbart, den er gesehen hatte – und war dieses Treffen für ihn verhängnisvoll geworden?
    Die Fragen ratterten durch meinen Kopf, während ich mit dem Blick die Dunkelheit durchstreifte, zwischen den Bäumen, hinunter zu den erleuchteten, funkelnden Wohnblöcken.
    Aber wenn es so war: Wer war es?
    Mit dem Rücken gegen einen Türpfosten, der nur eine scharfe Planke gegen das Rückgrat war, richtete ich die Taschenlampe wieder ins Innere der Hütte, ließ das Licht über den Boden flackern. Es war kein Messer zu sehen. Es war überhaupt nichts zu sehen, abgesehen von einer kleinen Leiche. Ein junger Mensch, der nicht älter werden würde, ein Körper, der in einer oder zwei Wochen Asche sein würde, eine Seele, die davongefahren war, dorthin, wohin alle Seelen fahren.
    Es gab hier nichts für mich zu tun. Ich war weder Arzt noch Theologe. Ich verließ die Hütte vorsichtig und wachsam. Die Dunkelheit kam auf mich zu, und die Sterne funkelten über mir wie Notsignale von einem schwarzen Meer.
    Ich ging schnell und blieb abrupt stehen – lauschte. Aber ich hörte nichts – keine Schritte, die hinter mir verklangen, keine Geräusche, die plötzlich verstummten.
    Ich ging weiter, während ich mich ständig nach hinten, zur Seite und nach vorn umsah. Ich ging so sehr in der Mitte des Weges, so weit von den Bäumen entfernt wie nur möglich.
    Auf dem Asphalt anzukommen war, wie wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Ich fühlte, dass meine Finger krampfhaft die Taschenlampe fest hielten, dass meine Nackenmuskeln steif waren.
    Die Telefonzelle stand auf dem Gehweg, hinten bei ein paar niedrigen, blattlosen Büschen. Sogar ein Zwerg hätte Probleme gehabt, sich darin zu verstecken.
    Ich trat in die Zelle und wählte die Nummer der Polizei, ohne auf die Tasten zu sehen, und ohne der Tür den Rücken zuzuwenden. Nachdem ich die frohe Botschaft des Abends überbracht hatte, hängte ich schnell ein und trat nach draußen. Ich blieb direkt vor der Telefonzelle stehen, in ihrem Licht, bis das erste Auto kam. Ich glaube, ich bewegte mich keinen Millimeter, bevor ich Jacob E. Hamre aus dem Auto steigen und mit verkniffenem Gesicht auf mich zukommen sah.

47
    Als wir in der Dunkelheit an der Spitze der kleinen Truppe hinaufgingen, sagte Hamre: »Ich habe einen Kollegen, Veum. Unten auf der Wache. Muus heißt er. Du kennst ihn ja.« Ich nickte.
    »Ich habe ihm gegenüber erwähnt, dass du was mit diesem Fall zu tun hast. Dem anderen Fall, sollte ich wohl sagen. Er hat dir kein besonders gutes Zeugnis ausgestellt. Veum? sagte er, um Himmels willen, Jakob, halt dir den Kerl bloß kilometerweit vom Hals. Der Typ ist wie ein Fliegenfänger, sagte er. Lass ihn allein im Dunkeln raus, und du kannst darauf wetten, dass er eine Leiche findet. Die Leichen lieben ihn, sagte er.« Er machte eine Kunstpause. »Ich beginne zu verstehen, was er meinte.«
    »Er mag mich nicht«, sagte ich. »Wir sind uns mal über einer Leiche begegnet, und ich bin ihm über einen Mörder gestolpert. Danach mochte er mich nicht gerade lieber.«
    Hamre blieb stehen und die Leute hinter uns liefen uns fast auf die Hacken. Einer von ihnen fluchte. »Geht weiter«,

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