Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
sagte Hamre.
    »Die Hütte liegt gleich da oben«, sagte ich.
    Hamre und ich blieben stehen und er sagte in scharfem, eindringlichem Ton: »Ich bin Polizist, Veum. Kriminalpolizist. Mein Leben bestand aus Sumpf und Elend. Aus Menschen, die sich wegen einer Flasche Bier umbringen oder wegen einem Safe mit fünfzig Kronen und einem unbrauchbaren Scheckheft drin. Oder weil jemand mit jemandem schläft, mit dem er nicht schlafen sollte. Oder wegen einer Menge anderer trivialer Dinge. An dreihundert Tagen im Jahr untersuche ich Diebstähle und mehr oder weniger brutale Gewaltverbrechen. Am dreihundertersten präsentiert mir jemand eine Leiche, und ich versuche herauszufinden, wer sie produziert hat, zusammen mit ungefähr fünfzig anderen Menschen, die die Kehrseite der Medaille zu ihrem Broterwerb gemacht haben. Und ich erwarte selbst keine Medaillen dafür. Polizeichefs und Justizminister und Richter kriegen Medaillen. Kriminalpolizisten bekommen Magengeschwüre. Ich erwarte keine Diplome oder Schleifen oder so was. Ich erwarte nicht einmal lobende Worte. Aber für mich ist eine Leiche eine ernste Sache. Leichen sind nichts, womit man spielt, und man sitzt nicht einfach in einem Büro mit Aussicht auf Vågen und wartet, dass sie einem in den Schoß fallen.«
    »Hör zu …«
    »Schnauze, Veum. Ich halte diese Rede nur einmal und ich verteile hinterher keine Manuskripte. Es ist mir scheißegal, wie du das Geld für deine Miete und die Raten für das Auto und deinen Schnaps und dein Brot verdienst. Und ich scheiß drauf, wenn du rumschleichst und untreue Ehepartner beschattest, bis dir die Augen aus dem Kopf fallen. Ich sag dir nur eines: Halt dich verdammt noch mal weit weg von den Leichen. Ich habe große Lust, dich jetzt schon einzusperren, bis dieser Fall ein für alle Mal aufgeklärt ist.«
    »Du kannst nicht alle einsperren, die du verdächtigst, Hamre.«
    »Ich kann dich einsperren, und das reicht.« Er sah plötzlich müde aus. »Hör zu, Veum. Nimm es nicht persönlich. Im Grunde bist du ein netter Kerl. Unter anderen Umständen könnte ich mir vorstellen, mal irgendwo mit dir ein Bier zu trinken – wenn mir das nicht verdammt schlechte Noten auf der Wache bescheren würde. Tu mir nur einen Gefallen: Bring hier nicht noch mehr durcheinander. Finde keine Leichen mehr für mich. Ja?«
    »Gut.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich werd’s versuchen.«
    »Tu das«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Dann ging er schnell mir voran das letzte Stück zur Hütte. Ich folgte langsam nach.
    Draußen vor der Hütte blieb ich stehen und wartete zusammen mit einem jungen Wachtmeister, der aussah, als habe ihm jemand ins Gesicht getreten. Es war flach und viereckig, fast wie eine Briefmarke. Sein Mund war verkniffen, die Kiefermuskulatur rollte wie Dünung über seine Kinnpartie. Wir hatten einander nichts zu sagen.
    Ich versuchte, mir etwas Schönes vorzustellen und dachte an Solveig Manger. Was tat sie wohl jetzt? Saß sie in einem erleuchteten Wohnzimmer, mit einem Buch auf dem Schoß, hatte die Beine hochgelegt und starrte in die Luft? Saß ihr Mann auf einem anderen Sessel, mit einer neuen Hemingway-Biographie in der Hand? Stand ihnen vielleicht ein Fernseher gegenüber? Saßen sie im Licht des Bildschirms und ließen ein neues und anderes Leben Revue passieren? Sie waren nicht mehr allein. Sie würden niemals mehr allein sein. Es würde immer noch jemand im Raum sein, und dieser Jemand war tot.
    Das war doch nicht besonders schön.
    Hamre kam gebeugt aus der Hütte. Er sah mich düster an oder durch mich hindurch und sagte: »Sie sind nie besonders schön.«
    Niemand reagierte.
    Die anderen Polizisten kamen nach ihm heraus. Hilflos und stumm standen wir da. Es war am Anfang immer so. Niemand weiß so richtig, was er sagen soll, und niemand hat Lust, mit dem zu beginnen, was getan werden muss.
    Hamre sah mich an und sagte tonlos: »Du hast nichts angerührt? Alles ist so, wie du ihn gefunden hast?«
    Ich nickte. »Ja. Es war keine – Waffe da.«
    »Okay. Und du hast niemanden gesehen, als du heraufkamst?«
    »Keine Menschenseele.«
    »Spar dir deine Witze, Veum.«
    »Das war kein …«
    »Jajaja!«, unterbrach er mich ungehalten. »Was wolltest du hier oben überhaupt?«
    »Ich hätte gern ein bisschen mit – ihm geredet.« Ich wies mit dem Kopf zur Hütte.
    »Worüber?«
    Ich trat einen Schritt vor. »Siehst du mein Gesicht? Es war noch nie besonders schön, aber hat es sich nicht etwas verändert, seit wir uns

Weitere Kostenlose Bücher