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Dein bis in den Tod

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Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Tür und drückte auf den zwölften Knopf von unten.
    Irgendwo im Himmel holte ein Riese tief Luft und der Fahrstuhl wurde zwölf Stockwerke nach oben gezogen. Die Tür öffnete sich und ich stieg aus.
    Gunnar Våges Wohnung lag im nördlichen Flügel, gleich hinter der ersten Tür, wenn man aus dem Fahrstuhl stieg. Als ich klingelte, machte niemand auf.
    Ich blieb eine Weile am Geländer stehen und sah hinaus. Nur das Dach war jetzt noch über mir. Die nächsthöhere Treppenstufe war das Lyderhorn selbst. Die Menschen unten vor dem Haus waren noch kleiner geworden. Ich sah mein Auto. Es wirkte irgendwie verlassen, wie ein liegen gelassenes Spielzeug. Es war niemand in seiner Nähe. Niemand, der die Kühlerhaube öffnete und Leitungen abriss, niemand, der sich in den Schatten darum aufbaute.
    Ich klingelte noch einmal. Vergeblich.
    Dann fuhr ich wieder nach unten, ging hinaus, am nächsten Block vorbei und betrat den, in dem Joker wohnte. Ich nahm auch hier den Fahrstuhl, diesmal zusammen mit einem nicht gerade geselligen Mann im Parka, mit Hornbrille und einem Gesicht, das einem Lebemann hätte gehören können, damals, als es solche noch gab, und als Parkas etwas waren, das man von Bildern aus der Eiswüste kannte.
    Ich klingelte bei Hildur Pedersen, und Hildur Pedersen öffnete nach der gewöhnlichen Wartezeit die Tür. Sie schien nicht sonderlich begeistert, mich zu sehen. »Ich habe nichts mehr zu erzählen«, sagte sie, bevor ich den Mund aufmachen konnte. »Hau ab hier. Du hast schon genug …«
    Ich sagte: »Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu sprechen. Ich will mit Jo- … mit Johan reden.«
    »Und warum?«, fragte sie misstrauisch.
    »Sagen wir, ich habe noch eine – Stiefelrechnung mit ihm offen.«
    »Stiefelrechnung?« Sie betrachtete forschend mein Gesicht und etwas, das an ein Lächeln erinnern mochte, huschte vorbei. »Hat dich jemand als Tanzboden benutzt, Veum?«
    »Sie hatten nicht einmal Tanzschuhe an«, antwortete ich. »Jedenfalls haben sie mich nicht aufgefordert. Und wo ich doch früher nie Mauerblümchen war – jetzt haben sie mich benutzt, um den Asphalt mit mir zu schmücken.«
    Sie sagte: »Es ist wahnsinnig lustig, dir zuzuhören, Veum, aber nicht in der Türöffnung, wenn du hundertzwanzig Kilo zu tragen hast. Und ich bin nicht in der Stimmung, dich reinzubitten.«
    »Wie gesagt – ich wollte auch mit Johan …«
    »Er ist nicht zu Hause.«
    »Nein?«
    »Nein. Er ist unterwegs seit – Gott weiß wie lange.«
    »Und du hast keine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte?«
    Sie zuckte mit den Schultern, sodass der Balkon unter mir schaukelte. »Nein.« Sie machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen, und ihr Gesicht wurde zu einem bleichen Streifen im Türspalt. »Adieu«, sagte sie. Dann war sie ganz verschwunden und mir blieb nur noch die Aussicht.
    Aber diese Aussicht hatte nicht so viel zu bieten. So ging ich langsam die Treppen wieder hinunter.
    Ich dachte an mein Gespräch mit Solveig Manger, lauschte auf das Echo ihrer Stimme, das noch in mir widerhallte. Ich sah ihr Haar vor mir, dachte daran, wie es sein müsste, sich vorzubeugen und seinen Duft zu spüren, die Wärme ihrer Haut, oder im Halbdunkel irgendwo zu sitzen und Silber aus ihren dunklen, tiefen Augen zu fischen, nur dazusitzen, einfach nur zu schauen.
    Ich versuchte mir Jonas Andresen vorzustellen, mit ihr. Ich versuchte, sie mir zusammen auszumalen, im Bett. Sie nackt, auf dem Rücken, mit gespreizten Beinen und ihr Haar über das Kopfkissen gegossen. Er auf dem Bauch, mit zerzaustem Bart, zerzaustem Haar und den einen Arm über ihren Brüsten ruhend.
    Aber es gelang mir nicht. Ich sah nur zwei Menschen Hand in Hand, mit Frostatem, irgendwo in einem winterlich stillen Park, unter Bäumen wie schwarzen, ausgestreckten Händen, die sich an einen graubleichen Himmel klammerten, an ein Versprechen von Schnee. Ich sah nur zwei Menschen Arm in Arm, aneinandergelehnt, unterwegs von Nirgendwo nach Nirgendwo, einfach nur unterwegs. Und dann, plötzlich, war er verschwunden. Und sie ging allein.
    Aber Wenche Andresen … Ich versuchte, an Wenche Andresen zu denken. Auch das gelang mir nicht. Ich sah Roar. Ihn konnte ich sehen, und ein plötzlicher, trauriger Gedanke durchfuhr mich, wie bei einem Vater, der von zu Hause fortreist: Wie mochte es ihm gehen, in Øistese? Ging es ihm gut?
    Aber Wenche Andresen …
    Vielleicht war Solveig Manger der Typ Frau, dem man selten einmal begegnete und der augenblicklich die Bilder aller

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