Dein bis in den Tod
wieder zu bewegen begann, veränderte sich die Angst, wurde zielgerichtet. Und die Angst war sicherer, denn nichts ist schlimmer, als sich grundlos zu ängstigen, als Angst ohne Namen. Jetzt wusste ich, wovor ich Angst haben musste, und ich konnte mich dagegen wappnen, zurückschlagen.
Und ich wusste wirklich, wovor ich Angst haben musste. Ich wusste, dass da ein Mensch stand und den Fahrstuhl zu sich heraufzog. Ich wusste, dass es ein Mensch war, der schon gemordet hatte: einmal, wahrscheinlich zwei Mal. Ich wusste, dass ich versuchen musste, aus dem Fahrstuhl herauszukommen, bevor ich oben ankam. Wenn nicht, würde dieser Mensch oben auf mich warten. Und zwar nicht, um mir eine Medaille für großen Einsatz zu verleihen.
Plötzlich wurde die Dunkelheit durchbrochen. Es war das lange Fenster in der Tür zum zehnten Stock, das vorbeifuhr. Das geschah so schnell, dass ich nicht reagieren konnte, bevor es zu spät war. Der Fahrstuhl holperte weiter nach oben.
Meine einzige Chance lag darin, vorbereitet zu sein, wenn die nächste Tür kam. Der einzige Augenblick, in dem ich den Fahrstuhl verlassen konnte, war die Sekunde, wo er auf gleicher Höhe mit der Tür war und wo ich diese öffnen konnte. Ein paar Zentimeter darüber oder darunter war sie verschlossen.
Ich trat an die Wand, in der die Tür kommen musste und hielt die Hände flach dagegen, fühlte, wie sie an mir vorbei nach unten strich. Ich wartete auf den Schlitz zwischen Wand und Tür.
Da!
Der untere Türrand kam von der Decke gefallen, aber der Mensch dort oben hatte die Situation im Griff und erhöhte das Tempo der Winde, als sie sich dem kritischen Punkt näherte. Das lange Fenster kam zum Vorschein, ich suchte verzweifelt über der Tür nach dem Öffnungsmechanismus, dem Handgriff, fand ihn, ergriff ihn, und in dem Moment, als der Fahrstuhl auf der richtigen Höhe zu sein schien, warf ich mich nach links und versuchte, die Fahrstuhltür mitzuziehen.
Sie bewegte sich ein kleines Stück, um dann in die Ausgangsstellung zurückzufallen. Das war alles. Der Fahrstuhl bewegte sich unweigerlich nach oben. Ich hatte die Chance verpasst.
Da fiel mir plötzlich etwas anderes ein. Es waren zwölf Stockwerke, aber wahrscheinlich fuhr der Fahrstuhl noch ein Stockwerk höher, zum Maschinenraum. Das verschaffte mir eine weitere Chance – im zwölften Stock.
Ich stellte mich auf wie zuvor, hielt aber jetzt nur eine Hand flach an die Wand. Die andere hielt ich in Position, dort wo der Handgriff auftauchen würde.
Da!
Eine weitere Tür kam die Wand herabgerollt, und ich spannte die Muskeln an, stemmte die Schuhsohlen gegen Wand und Boden, starrte blind dort auf die Wand, wo ich wusste, dass das lange Fenster erscheinen würde.
Das Fenster kam in Sicht. Da blieb der Fahrstuhl stehen. Ich stutzte. Dann versuchte ich, aus dem Fenster zu schauen, aber es war zu weit oben. Nun wurde ich fast umgeworfen. Der Fahrstuhl tat einen heftigen Ruck, und dann war er an der Tür vorbei und fuhr weiter nach oben. Er hatte mich überlistet.
Eine Gewissheit sickerte in mein Bewusstsein. Jetzt gab es nur noch einen Ausweg, einen Ausgang. Ich musste ihm gegenübertreten, ob ich wollte oder nicht.
Als der Fahrstuhl ganz an der Tür vorbei war, hielt er wieder an. Ich stand im Dunkeln, in einem Sarg aus Beton, der mit Metall gefüttert war.
Jetzt brauchte ich nicht lange zu überlegen, warum er anhielt. Er sammelte Kräfte. Es war anstrengend gewesen, den Fahrstuhl von Hand so weit hochzuziehen.
Aber jetzt ist es nicht mehr weit, Mörder. Gib nicht auf. Ein neues Opfer ist auf dem Weg. Wetze dein Messer, Mörder …
Ich stand da und tastete meinen Körper ab, suchte nach etwas, das mir als Waffe dienen konnte. Ich hatte nichts als die kleine Taschenlampe und die würde nicht sonderlich effektiv sein. Aber sie war jedenfalls besser als gar nichts. Vielleicht schaffte ich es, ihn zu blenden.
Denn ich war sicher, dass es ein Mann war. Eine Frau hätte es nicht geschafft, den Fahrstuhl so professionell zu bedienen. Eine Frau hätte mich zu einer Tasse Kaffee eingeladen oder zu einem leisen Drink. Zu einem wirklich leisen, nämlich dem letzten Drink. Eine Frau hätte mir die Arme um den Hals gelegt und mir ein Stilett in den Nacken gestoßen oder sie hätte vergeblich an mein Mitgefühl und mein Verständnis appelliert. Sie hätte mich nicht zu einem lebensgefährlichen Tango im Dunkeln eingeladen, nur durch den Fahrstuhl zu erreichen …
Und ich war auch ziemlich sicher, welcher
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