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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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lächelte und sie sagte das einzig Richtige: »Nicht lachen, dann reißt die Lippe. Komm her.«
    Dann packte sie mich am Oberarm und führte mich ins Bad. Es kam mir vor, als spazierte ich geradewegs in die Sonne. Blendend weißes Licht schlug mir entgegen.
    Das Badezimmer war klein, glänzend und weiß, und die Neonröhre an der Decke war ungewöhnlich grell. In diesem Raum war es unmöglich, auch nur den kleinsten Makel zu verbergen. Sie musste sehr schöne Haut haben, wenn sie solch ein Licht ertrug.
    Sie ließ Wasser ins Waschbecken ein und hob mein Gesicht gegen das Licht. Dann tunkte sie ein blaues Frotteehandtuch ins Wasser und tupfte mein Gesicht ab. Dabei war sie so behutsam, als wüsche sie ein Neugeborenes, und ich fühlte, wie die Schmerzen gelindert wurden und die Benommenheit von mir abtropfte wie Wasser.
    »Hilft das?«, fragte sie.
    Ich blinzelte sie aus geschwollenen Augenlidern an und nickte. In diesem starken Licht waren ihre Augen noch blauer. Mir schien, als fülle ihr Gesicht das ganze Zimmer aus, als sauge es das Licht auf und wachse. Ich sah die feinen Blutäderchen in ihren Nasenlöchern, den hellen, fast durchsichtigen Haarflaum auf ihrer Oberlippe, die schmalen, neu eingegrabenen Falten auf ihrer Stirn und um die Augen. Und die Augen waren blau, so blau, dass man jeden Moment damit rechnete, Vögel herausfliegen zu sehen.
    Roar stand in der Tür und sah zu. Er hatte sich jetzt beruhigt, und seine Stimme klang eifrig. »Du hättest sehen sollen, wie Varg sie fertig gemacht hat Mama! Verprügelt hat er sie! Sie … sie konnten kaum noch gehen hinterher. Und Joker, der sah aus, der sah aus, als hätte er sich in die Hose gepinkelt. Varg hat sie verprügelt, die ganze Gang.«
    Ich blinzelte zu ihm hinab. Seine Augen strahlten zu mir hoch. »Stimmt’s, Varg?«
    »Na ja«, entgegnete ich.
    »Kommt«, sagte sie. »Ich mach euch was zu essen.«
    An diesem Abend lud sie mich ins Wohnzimmer ein.
    Es war ein gemütliches Wohnzimmer. Nichts Ungewöhnliches, nur eins von diesen Zimmern, die einem nach einer halben Minute schon das Gefühl geben, man hätte sein ganzes Leben in ihnen gewohnt. Die Möbel waren alt und solide, auf den Stühlen konnte man sitzen und vom Tisch konnte man essen, ohne dazu den Kopf zwischen die Knie senken zu müssen. An den Wänden hingen alte helle Aquarelle von Høyfjell-Landschaften und eine üppige Auswahl von Wandstickereien, die sie selbst gemacht hatte. In einem Regal standen Bücher mit abgegriffenen Rücken: Kriminalromane, Bücher über Stickerei und Kinderpflege, ein Roman von Faulkner und ein Bestseller über eine alte Frau irgendwo in der Wildnis, die Memoiren eines bekannten Staatsmannes (Band drei) und ein Fußballhandbuch. Für jeden Geschmack etwas, wie es so schön heißt.
    Auf einem der Regale standen vier, fünf Fotoalben und daneben ein gerahmtes Bild. Es war ein Familienfoto, und ich erkannte Wenche Andresen mit etwas längerem Haar und Roar mit rundem Babygesicht und starrendem Blick. Die dritte Person auf dem Bild musste Roars Vater sein, ein junger Mann mit offenem, ein wenig blassem Gesicht (doch das konnte an der Sonne liegen), blonden Haaren und einer dunkel eingefassten Brille. Er hatte ein gewinnendes Lächeln: keine glatte Eins, aber auf jeden Fall ein Zweier dann und wann. Er und Wenche Andresen saßen auf einer Mauer, und Wenche hielt Roar auf dem Schoß. Es war Sommer, sie waren leicht gekleidet, und sie sahen sehr, sehr glücklich aus.
    Die übrigen Regale waren voller Nippes: Tonfiguren, dekorierte Tannenzapfen, billige Souvenirs und teure Porzellantiere. Es war kaum noch Platz für eine Streichholzschachtel.
    In einer Ecke stand ein Fernsehapparat und führte Selbstgespräche. Eine Zeichentrickfigur sauste hin und her und schnitt Grimassen. Glücklicherweise war es nicht so witzig, dass ich lachen musste, denn das Bluten hatte aufgehört. Ich saß in einem schönen, warmen Sessel, auf der Armlehne saß Roar und lehnte sich an meine Schulter, und am anderen Ende des Zimmers flimmerten kurzsichtige blaue Bilder an uns vorbei.
    Dann war der Film zu Ende, und es erschien eine Frau und fragte; ob das nicht ein lustiger Film gewesen sei. Wenn wir Lust hätten, ihn noch einmal zu sehen, brauchten wir nur am folgenden Tag um fünf nach neun den Fernseher einzuschalten. Das wird bestimmt lustig, sagte sie und lächelte süßsauer.
    Danach begann der Englischkurs. Sie hatten die Serie erst fünfmal gesendet, sie war also so gut wie neu. Roar sagte:

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