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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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für einen guten Witz.«
    »Meine alte Mutter ist tot, und gute Witze kenne ich nicht.«
    »Genau. Haha, du bist das lebende Beispiel für das, wovon ich spreche. Ich finde, du solltest gehen, Veum. Ich glaube nicht, dass ich dich mag.«
    Ich blieb sitzen. »Die Mutter von diesem Johan, wo finde ich sie?«
    Er hüpfte von der Schreibtischkante, kam auf mich zu und blieb breitbeinig vor mir stehen. »Ehrlich gesagt, Veum, ich finde nicht, dass du dich da einmischen solltest. Ich glaube, du kannst mehr kaputt machen, als dir eigentlich bewusst ist. Du bist der Typ dafür. Ich versuche, hier draußen einen anständigen Job zu machen, den Kids ein Angebot zu machen und ihnen überhaupt zu helfen. Du kannst mich eine Art Gärtner nennen, und ich sehe es nicht gern, wenn andere kommen und mir in meinen Beeten herumtrampeln.«
    »Auch nicht, um Unkraut zu jäten?«
    »Hol dich der Teufel, Veum. Es gibt etwas, das ich nicht mag, und das ist, über mich selbst zu reden. Ich will mich nicht selbst als Idealist bezeichnen, oder als etwas anderes, aber ich versuche auf jeden Fall; mein Leben sinnvoll zu gestalten.
    Ich war mal Elektroingenieur, hatte einen ziemlich einträglichen Job in der Industrie, im privaten Sektor, hohes Jahreseinkommen, hätte mir ein Haus leisten können, eine Frau und all das – wenn ich also nicht eines Tages plötzlich innegehalten und mich umgesehen hätte: Was zum Teufel machst du mit deinem Leben, Gunnar? fragte ich mich selbst. Sieh dich um. Du arbeitest in einem der umweltschädigendsten Betriebe auf der gesamten Bergen-Halbinsel. Du läufst in Büros mit computergesteuerten Klimaanlagen umher und planst neue Betriebe, neue Verunreinigungen, neue eingesargte Wasserfälle, neue Landareale, die der Entwicklung geopfert werden, und in der Stadt, in der du wohnst, leben Menschen, die Hilfe brauchen. Junge Menschen. Ich erlebte keine politische Bekehrung, auf jeden Fall nicht direkt. Ich wurde kein Revolutionär, außer in der Hinsicht, dass ich erkannte: Jede Revolution muss mit dem Anfang anfangen – mit der nächsten Generation. Unsere Generation – meine und deine – ist schon degeneriert. Wir sind eine Bande von vor Angst schlotternden Possenreißern, die nicht einmal an eine Revolution ihrer Eltern glauben können, geschweige denn an den Jesus unserer Großeltern. Wir sind eine ungläubige, atheistische Generation von Lümmeln, Veum – und du bist, verdammt noch mal, der Prototyp: So wie ich es vor ein paar Jahren auch war.«
    Er hielt einen Moment den Atem an, bevor er weiterredete. Für jemanden, der nicht gern von sich selbst sprach, war es ein prächtiger Monolog. »Und dann bin ich vom Zug abgesprungen«, fuhr er fort. »Hab es gemacht wie du, studierte Sozialpädagogik und fing an, etwas zu tun. Okay. Sieh uns an – ich arbeite jedenfalls noch immer in dem Sektor, für den ich ausgebildet bin, tja … aber du …« Er verzog den Mund zu einer verächtlichen Grimasse.
    Ich sagte: »Das tue ich wohl auch, auf meine Weise. Auf eine andere Weise.«
    Er betrachtete mich forschend. »Ja, doch, vielleicht. Außerhalb der etablierten Kreise, stimmt’s? Das ist typisch für den verängstigten Individualisten der Nachkriegszeit. Außerhalb der Kreise, außerhalb der Konvention. Du bist ein verspäteter Hippie, Veum. Zehn Jahre zu spät.«
    Ich stand auf. »Tut mir Leid, dass ich gehen muss, Våge. War ein Erlebnis, dich reden zu hören. Meine Frau würde dich lieben. Meine frühere Frau, muss ich wohl sagen.«
    Er entblößte von neuem verächtlich die Zähne. »Genau. Das Selbstmitleid darf nicht fehlen. Das letzte Merkmal. Das und der Alkoholismus. Oder vielleicht bist du schon so modern, dass du stattdessen Hasch rauchst.«
    »Aquavit«, sagte ich. »Zu deiner Orientierung.«
    »Und da sitzt du alle diese dunklen Winterabende allein und nuckelst an der Flasche und bejammerst deine Einsamkeit, stimmt’s?« Er kam noch näher heran, so nah, dass ich seinen Kaffeeatem spürte. »Aber es gibt welche unter uns, Veum, die die Einsamkeit gewählt haben, die es vorziehen, allein zu leben. Weil das vielleicht durchaus sinnvoll ist. Weil es dir mehr Anlass gibt, dich für das, woran du glaubst, zu opfern. Glaubst du, ich hätte nicht heiraten können? Sogar mehr als einmal.«
    »Mehr als einmal?«, sagte ich und gab mir Mühe, mich so anzuhören, als beneidete ich ihn. Das war nicht schwierig.
    »Aber nein. Ich habe Nein gesagt. Als ich an den Punkt in meinem Leben kam, an den Wendepunkt, da habe

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