Dein bis in den Tod
Straßen laufen und einander Fleischstücke aus dem Körper hacken oder tausend Tonnen Nashörner können durch die Straßen stürmen auf der Jagd nach Jungfrauen. Es geht einen nichts an. Man hat nichts damit zu tun. Man sitzt fest.
Klaustrophobie gehört nicht zu meinen Hobbys, aber ich spürte trotzdem, wie ich auf der Stirn und auf dem Rücken zu schwitzen begann. Niemand sitzt gern in einem Fahrstuhl fest. Wenn man festsitzt, will man raus. So einfach ist das.
Und wir saßen fest.
Die Frau mit der ich festsaß, sah auch nicht aus, als würde ihr das gefallen. Ihr Gesicht hatte sich irgendwie ausgeweitet, Augen, Nasenflügel, Mund – und sie atmete langsam und schwer. Sie hatte, wie es schien, völlig weiche Knie und stützte sich mit einer schwachen, weißen Hand gegen die Fahrstuhlwand. Mit der anderen hielt sie sich die Stirn.
Ich sagte: »Vielleicht sollten wir uns vorstellen. Mein Name ist Veum!«
Sie sah nicht aus, als würde sie mir glauben. »Ich – wir sitzen fest. Fest!« Ihre Stimme klang leicht hysterisch.
Ich sagte: »Ich habe gehört, dass Menschen, die an Klaustophobie leiden, in solchen Situationen anfangen, sich auszuziehen. Tun Sie das nicht. Ich bin viel zu jung. Ich würde es nicht ertragen.«
Sie zuckte zurück: »Was faseln Sie da eigentlich? Bringen Sie uns raus! Ich will raus!« Sie hatte mit dem Rücken zur Fahrstuhlwand gestanden, drehte sich nun herum und begann, mit hilflosen Fäusten auf diese einzuhämmern. »Hilfe! Hilfe!«, rief sie.
Ich drückte auf den Knopf, an dem Alarm stand und hörte es irgendwo klingeln. Ich hoffte, dass es sich nicht nur um eine so genannte »Trostklingel« handelte, wie sie installiert werden, um die Festsitzenden zu beruhigen, die man aber nur einige Meter weit hört. Ich hoffte, dass auch irgendwo anders eine Klingel läutete, bei einem Hausmeister in seinem Himmel, wo immer der sich auch befinden mochte, wenn es dort denn einen Hausmeister gab.
Die Frau in dem alten Pelzmantel sank auf dem Boden zusammen. Sie schluchzte verzweifelt. Ich hockte mich neben sie und sagte: »Ich habe nach dem Hausmeister geläutet, und – es wird sicher nicht mehr lange dauern.«
Sie schluchzte: »Wie lange können wir überleben? Wie lange reicht der Sauerstoff aus?«
»Sauerstoff?« Ich sah mich um. »Lange genug. Ich habe mal von einer schwedischen Putzfrau gehört, die vierzig Tage lang in einem Warenaufzug in einer Fabrik eingeschlossen war. Die ganzen Sommerferien lang. Und sie überlebte. Sie hatte allerdings auch Seifenwasser zu trinken.«
»Vierzig Tage? Aber du lieber Gott, Mann! Du lieber Gott! Ich wollte doch nicht …«
»Nein, nein, nein. Ich meinte nur: Luft ist kein Problem.« Ich sah mich zaghaft um. Es war schon recht stickig und warm geworden, aber eins war klar: Luft war kein Problem! Ich schwitzte noch ein bisschen mehr.
Ich sah nach oben. Dort war keine freundliche Luke im Dach wie in alten Zeiten. So eine, durch die man hinaufklettern konnte und sich fühlen wie auf dem Grund eines Vulkankraters. Das war immer so beruhigend.
Ich merkte zu meiner Verwunderung, dass ich immer mehr schwitzte. Ich dachte, man sollte niemals Fahrstuhl fahren. Treppen sind dazu da, dass man sie benutzt, es ist ein gutes Training und man lebt länger. Fahrstühle sind für alte Leute und Babys, nicht für große, starke …
Unten in meinem Magen begann etwas herumzukrabbeln: die alte Hausratte. Ich ließ den Blick wandern, von Wand zu Wand. Der Fahrstuhl wirkte jetzt kleiner, schmaler, enger.
Plötzlich bemerkte ich, dass mein Fäuste Lust hatten, gegen die Wände zu schlagen, sie zu zerschlagen und dass meine Stimme Lust hatte »Hilfe! Hilfe!« zu rufen.
Mir war schwindelig.
Ich räusperte mich laut (um mich selbst zu beruhigen) und sagte: »Nicht mehr lange, dann sind wir draußen. Nicht mehr lange, hören Sie.«
Sie war völlig zusammengesackt, saß da und starrte auf den Boden. Sie hatte die Knie hochgezogen und die Schamhaftigkeit der Trabantenstadt verloren. Ich sah, dass sie unter der matten, braunen Strumpfhose eine schwarze Unterhose trug und dass sie da oben doch molliger war, als ihre Beine hatten vermuten lassen.
Dann wandte ich den Blick ab. Ich bin ein anständiger Kerl. Ich nutze die Hilflosigkeit von Frauen niemals aus. Oder ist es vielleicht nur die Angst – die Sexualangst? Ich konnte mich natürlich hinstellen und eine Weile darüber nachdenken, mich selbst analysieren. Das hatte ich eine Zeit lang ziemlich gut gekonnt – direkt
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