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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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meinem einzigen freien Abend) –, das erste Kapitel von ›Pu der Bär‹. Den Rest hatte seine Mutter lesen müssen. Und all die anderen Bücher auch. Ich hatte angefangen, sie in Gedanken »die Mutter« zu nennen: das war immerhin ein Fortschritt. Nicht mehr Beate, sondern »die Mutter«.
    Aber dann fiel mir ein, dass er sicher nicht zu Hause wäre und außerdem zu alt für ›Pu der Bär‹. Er war sieben Jahre alt, und als ich das letzte Mal angerufen hatte, hatte er nicht einmal Zeit gehabt, mit mir zu sprechen. Er wollte zu einem Fußballspiel – mit »Lasse«.
    Ich hob den Telefonhörer ab und hörte das Freizeichen, lauschte auf die Gespenster längst vergangener Gespräche, die Skelette weicher Frauenstimmen, die schweren Fußstapfen grober Männerstimmen: alles vorbei, alles längst vorbei.
    Als ich den Hörer wieder auflegte, klingelte das Telefon.
    Ich ließ es fünfmal klingeln, bevor ich abnahm. Es war ein gesegneter Klang, und ich konnte das Gespräch mit einem meiner Kreditoren noch eine halbe Minute hinauszögern.
    Nach dem fünften Klingeln nahm ich den Hörer ab und sagte geschäftsmäßig in den schwarzen, gähnenden Schlund: »Hier ist Veum.«
    »Oh, Varg, ich hatte schon Angst, du wärst nicht da. Hier ist Wenche – Wenche Andresen.«
    Es war Wenche – Wenche Andresen. Ihre helle Stimme klang wie ferne Glocken durch den Hörer und der schwarze Schlund gähnte nicht mehr – er begann zu lächeln. Jedenfalls verzog er die Mundwinkel. Ich lächelte zurück und sagte: »Oh, hallo.« Ich konnte selbst den erwartungsvollen Klang in meiner Stimme hören. »Wie geht’s?«
    »Danke, besser. Ganz gut. Ich rufe vom Büro aus an. Ich wollte nur – Übrigens – es war nett mit dir. Ich habe es schon lange nicht mehr – so nett gehabt.«
    »Nein. Ich auch nicht.« Dazu gehörte nicht viel, aber das musste ich ja nicht unbedingt dazu sagen.
    »Ich – ich wollte eigentlich fragen, ob du – mir einen Gefallen tun kannst. Ich meine … Ich werde dafür bezahlen.«
    »Oh, das geht schon in Ordnung. Was willst du, dass ich … Kann ich etwas …«
    »Als Detektiv nimmst du doch wohl alle möglichen – Aufträge an, oder?«
    »Na ja, alle nun auch wieder nicht.« Es gab Aufträge, die ich nicht annahm und es gab viele, um die mich auch niemand bat.
    »Ich dachte nur – ob – du für mich zu Jonas gehen könntest. Meinem – Mann. Mit dem ich verheiratet war.«
    Das klang nach einem der Aufträge, die ich nicht annahm, deshalb fragte ich: »Und was sollte ich bei ihm tun?« Ihn mit hinters Haus nehmen und ihm eine Tracht Prügel verpassen? Ihm leere Flaschen auf den Kopf hauen? Ihn aus der Stadt jagen, rückwärts auf einem alten Gaul reitend, falls einer in Reichweite war?
    »Nur – mit ihm reden. Ich schaffe es nicht selbst. Ich – ich würde nur anfangen zu heulen und eine Szene machen und … Ich ertrage keine Auseinandersetzungen mehr. Ich will ihn nicht mehr sehen, Varg, verstehst du?«
    »Tja …«
    »Es geht um das Geld, verstehst du.«
    »Welches Geld?«
    »Nicht der monatliche Unterhalt. Damit ist er immer pünktlich. Fast jedenfalls. Ein paar Mal kam er ein bisschen spät, und ich musste im Büro um Vorschuss bitten oder mir etwas leihen. Und als das Geld von Jonas kam, musste ich zurückzahlen, was ich geliehen hatte und dann war nichts mehr übrig. Und Roar trägt seine Sachen schnell ab, das ist eben so in dem Alter, und wenn jetzt sein Fahrrad auch noch verschwunden wäre … Es gibt ja immer etwas, was sie haben müssen, weißt du?«
    »Ja, sicher. Hab ich jedenfalls in der Zeitung gelesen. In den Annoncen.«
    »Aber es geht nicht um den Unterhalt. Es geht um die Versicherung.«
    »Welche Versicherung?«
    »Wir hatten eine Lebensversicherung, eine gemeinsame. Und als wir – uns getrennt haben, da – da haben wir uns geeinigt, uns auszahlen zu lassen, also den Rückkaufswert. Das ist ja nicht so viel, aber … Jonas wollte das veranlassen, und dann wollten wir uns den Betrag teilen. Aber ich habe noch nichts bekommen, und ich brauche wirklich Geld.«
    »Vielleicht kann ich dir etwas leihen«, log ich.
    »Ich weiß, Varg.« Da wusste sie mehr als ich. »Ich danke dir. Aber ich habe das Leihen satt. Ich will kein Geld mehr leihen – von Freunden und Bekannten oder von wem auch immer.«
    Ich fragte mich eine Sekunde lang, ob sie mich unter Freunden oder Bekannten oder »wem auch immer« einsortierte. Dann sagte ich: »Ich denke, ich könnte es übernehmen. Mit ihm zu reden.«
    »Oh,

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