Dein bis in den Tod
Gericht landen. Die Sieger haben Geld genug, um ihre Verbrechen zu kaschieren. Denn was sind schon die drei Flaschen Bier, die ein armer Penner gestohlen hat, um seinen Durst zu stillen, gegen die Million, die ein Schiffsreeder jedes Jahr unterschlägt? Können Sie mir das sagen, Veum? Das können Sie sicher, aber Sie tun es nicht, ich kenne die Antwort. Und die andere Hälfte? Das sind, was die Franzosen, die so ziemlich alles benannt haben, was mit dem Liebesleben zu tun hat, crimes passionelles nennen. Morde aus Liebe, aus Eifersucht. Der Mann, der nach Hause kommt und seine Frau mit einem anderen im Bett findet und die Schrotflinte aus dem Schrank holt oder das Gewehr, das er von der Reserveübung noch auf dem Boden liegen hat, und bevor der Liebhaber die Hosen wieder anhat, liegt er da und kann nicht mehr. Nichts mehr – nie mehr!«
Er sah jetzt düsterer drein. »Zwei Sorten von Fällen, Veum: Bereicherungsverbrechen und Eifersuchtsdramen.«
Er stand auf und kam zu mir herüber. Als er neben meinem Sessel stand, war er größer als ich. Ich stand auf und er starrte hinauf in mein Gesicht, wie ein wütender Zwerg. »Ich selbst habe mich vierzig Jahre lang an ein und dieselbe Madame gehalten. Das war verdammt noch mal auch kein reiner Tanz auf Rosen, sicherlich nicht. Aber es war jedenfalls immer der gleiche Tanz mit demselben Partner.«
»Und die Liebe?«, fragte ich.
»Liebe?«, sagte Paulus Smith. »Liebe ist etwas für junge Leute, die das Leben noch vor sich haben. Liebe ist etwas für Träumer, um sich im Mondschein daran zu berauschen. Liebe – das ist das, woran die Mädchen glauben, bis sie dreizehn sind, und das, was die Jungs mit Sexualität verwechseln. Liebe? Ich rede nicht von Liebe, ich rede von der Ehe, Veum.«
»Genau«, sagte ich.
Wir standen ein paar Sekunden so da und sahen einander an. Dann legte er die Hand um meinen Oberarm und drückte ihn. »Okay, Veum. Du bist jung genug, um dich im Mondschein daran zu berauschen. Also los. Beweise, dass Wenche Andresen unschuldig ist. Gib mir …« Er sah auf die Uhr. »Gib mir eine halbe Stunde und warte vor dem Polizeigebäude auf mich, dann werden wir ihr einen Besuch abstatten. Abgemacht?«
»Abgemacht«, sagte ich. »Und – danke.«
»Nichts zu danken«, sagte Paulus Smith. »Ich mach nur meinen Job.«
Ich ließ ihn allein – mit seinem Job. Vor seiner Tür traf ich eine jüngere Ausgabe von ihm: nicht ganz so breitbrüstig und mit dunkelblonden Haaren und mit einer nicht annähernd so gesunden Gesichtsfarbe, eher rötlich und künstlich erzeugt. Er hatte einen etwas arroganten Gesichtsausdruck und es sah nicht so aus, als bekäme er die Augen vor zwölf Uhr mittags richtig auf. Er warf mir unter den schweren Augenlidern einen blasierten Blick zu, fand schnell heraus, dass ich ihm nichts zu geben hatte und übersah mich sodann vollständig. Ich zog den Senior dem Junior absolut vor.
Die ältere der beiden Sekretärinnen stand wieder beim Archivschrank. Ich blinzelte ihr zu und sagte: »Auf Wiedersehen …« Und auch dieses Mal verkniff ich mir das »alte Frau«, aber es lag in der Luft.
Sie war ein Kleinod, und das seit fünfzig Jahren. Und wenn man zufällig in fünfzig Jahren wieder käme, dann würde sie noch immer dort stehen. Sie gehörte zu den ewig Unsterblichen, den ewig Unveränderlichen. Im Stillen wünschte ich ihr eine gute Ewigkeit, aber ich hätte niemals mit ihr tauschen wollen. Ich hätte nie die Ruhe dazu, es in einem Museum auszuhalten, in der Abteilung für Frühgeschichte, ganz hinten links.
Ich sagte zu mir selbst, erinnere mich daran. Dass ich hereinschaue und nachsehe. In ungefähr fünfzig Jahren.
32
Es hatte zu regnen begonnen: ein kalter Spätwinterregen, der Schnee verhieß. Ich kaufte die drei Bergenser Zeitungen und suchte Schutz bei einer Tasse Kaffee in einem Café im ersten Stock an der Torgalmenning. In einem Regal fand ich die Zeitungen des Vortages und tat etwas, das ich schon völlig vergessen hatte: Ich las sie. Jedenfalls blätterte ich sie durch.
In den Zeitungen vom Vortag wurde das Geschehen nur unter »Mystischer Todesfall« oder »Mann tot aufgefunden« oder »Messerstecherdrama in Hochhausblock« abgehandelt. Der Inhalt unter den Überschriften war größtenteils der gleiche. Die Polizei hatte schon eine Person zum weiteren Verhör in Haft genommen.
Ich ging schnell zu den Zeitungen des Tages über. Hier waren die Artikel umfangreicher: Die Zeitungen hatten mehr
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