Dein bis in den Tod
du?«
»Na ja, nur so. Vielleicht um einen Eindruck zu bekommen, wie es ist, in so einem Haus zu leben.«
»Wie es ist, hier zu leben? Wie in einem Kühlschrank, denke ich. Die Milch ganz unten spricht nicht mit den Eiswürfeln ganz oben, der Hartkäse wechselt kein Wort mit den Essensresten im Regal darüber. Man wohnt einfach hier. Hier bringt man seine Freunde her oder verjagt seine Ehepartner. Aber es ist kein Ort, an dem man neue Freunde findet, neue Ehepartner übrigens auch nicht. Ich weiß das, ich habe einige gehabt. Ehemänner, meine ich.«
»Hattest du so viele?«, fragte ich.
»Das kommt darauf an, was du mit viele meinst.« Sie zählte sie an den Fingern ab. »Eins, zwei, drei, vier. Und ich wurde von allen geschieden. Ich habe keinen Einzigen umgebracht. Es ist natürlich wichtig, dass sie jedes Mal reicher sind. Damit dein Lebensstandard nicht sinkt. Der Letzte hat mich so geliebt, dass ich nicht einmal mehr arbeiten muss, um zu leben.«
Das erklärte ihr Gesicht. Man kann über Scheidungen sagen, was man will, aber Verjüngungskuren sind es jedenfalls nicht. Jede einzelne hinterlässt Spuren in deinem Gesicht. Und auch an anderen Stellen, die man aber nicht sieht.
Ich sagte lächelnd: »Ist es so schwierig, mit dir verheiratet zu sein?«
»Nicht schwieriger als mit den meisten anderen, glaube ich.« Sie rollte das Glas zwischen ihren Fingern hin und her, langen, weißen Fingern mit roten Spitzen. »Ich glaube nur nicht, dass die Ehe ein ewig andauerndes Wunder ist. Wenn du verstehst, was ich meine. Ich persönlich finde, es ist schwer, mit einem Menschen zusammenzuleben, wo jeder seine Eigenheiten und Vorlieben hat. Eigenschaften, die am Anfang noch charmant sind, die aber nach ein paar Jahren Zusammenlebens zum reinsten Nervenkrieg führen können, dann wenn die kleinen Details nicht mehr das Salz in der Suppe sind, sondern nur noch Irritationsmomente. Ich meine ein zerstreuter Typ ist okay, solange man frisch verliebt ist. Aber ein zerstreuter Typ, mit dem man einige Jahre verheiratet ist, das ist die Hölle. Nein, ich glaube im Großen und Ganzen an unser westliches Paarsystem, ich bilde mir nur nicht ein, dass es das ganze Leben dauert. Wenn wir mal von den wenigen glücklichen Ausnahmen absehen. Aber sonst? Später wird es Routine und Ärgernis. Entweder es explodiert, oder man wandert geradewegs ins Nebelland, in einen mindestens lebenslangen Dämmerzustand. Sogar im Grab bekommt man keine Ruhe. Sie begraben Paare gemeinsam.«
Sie stellte das Glas ab und hielt sich die Hände vor das Gesicht, krümmte die Finger und betrachtete ihre Nägel. »Ich glaube, ich kann behaupten, dass ich zumindest ehrlich gelebt habe. Wenn eine Beziehung zu Ende war, dann habe ich sie beendet. Wenn eine Ehe nicht mehr seetüchtig war, dann bin ich von Bord gegangen. Ich glaube, so sollten wir alle leben. Manchmal ist es hart, wenn man mittendrin ist, aber man kommt aufrechter wieder heraus, mehr im Gleichgewicht mit sich selbst.« Sie trank einen Schluck aus ihrem Glas. »Manchmal ist man natürlich auch einsam. Besonders wenn man nicht mehr zu den Jüngsten gehört. Aber andererseits …« Ihr Blick suchte über den Rand des Glases meinen. »Es gibt vieles, was eine erwachsene Frau für einen Mann tun kann, mit einem Mann tun kann, wovon ein junges Mädchen nicht einmal träumt. Ein Teenager hat vielleicht einen knackigeren Körper, aber sie ist wie ein Baby mit einer elektrischen Eisenbahn; sie hat keine Ahnung, was sie damit anfangen soll. Eine erwachsene Frau weiß – stimmt’s – Veum?«
»Doch, ja. Das tut sie sicher.«
»Wie alt bist du?« Sie sah mich neugierig an.
Ich sagte: »Was schätzt du?«
Sie ließ ihren Blick an mir entlang wandern, verharrte beim Brustkorb (der weder breiter noch schmaler ist als bei den meisten anderen) und beim Bauch (der auf keinen Fall dicker ist) und studierte wieder mein Gesicht. »Ich würde tippen«, sagte sie und leckte sich kurz die Lippen, »Mitte dreißig oder bei gutem Training um die vierzig.«
Ich sagte: »Sechsunddreißig.«
Sie lächelte und hob ihr Glas. »Das beste Alter – für einen Mann. Alt genug, um den Weg zu kennen, aber noch nicht so alt, dass er sich verirrt und nicht mehr so jung, dass er schon an der Pforte ins Stottern gerät.«
Sie sprach in Bildern, wie ein wandelndes Neues Testament. Ich sagte: »Ich weiß nicht genau, worauf du hinauswillst, aber im Augenblick bin ich nämlich beschäftigt. Ich habe einen Job zu tun; und – ich
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