Dein Blick so kalt
auch das Denken fiel ihr zunehmend schwerer.
Das hier war das Ende. Ihr Ende.
Vielleicht ging es mit dem Gift ja schneller und es war weniger schmerzvoll, als elend zu verdursten.
Die andere in ihr trumpfte auf, schalt sie eine dumme Kuh und schenkte ihr einen Funken Energie. Was, wenn das alles nur Theater ist, eine makabere Show? Was, wenn Mister Arschloch dich nur testet? Vielleicht ist in der Cola gar nichts drin. Vielleicht will er sich daran aufgeilen, welche Kämpfe du mit dir ausfichst, wie du dich fürchtest, die Flasche an deine Lippen zu setzen. Dabei ist der Inhalt doch ganz harmlos. Du hast die rettende Flüssigkeit vor der Nase und traust dich nicht, sie zu trinken. Du verdurstest lieber. Aus Angst. Das wird ihm gefallen. Und gefallen willst du ihm doch ganz sicher nicht.
Trotzig rappelte Lou sich auf, stemmte sich von der Matratze hoch. Nein, diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun. Ganz sicher nicht. Ihr wurde ganz schwindlig. Benommen griff sie nach der Flasche und drehte sich damit zum Reptilienauge. Sie würde Mr Arschloch schon zeigen, dass er keine Macht über sie hatte.
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Die Schlüssel! Sie lagen auf Bärs Schreibtisch. Verdammt! Warum hatte er den Bund nicht mitgenommen! »Der Schlüssel ist oben. Ich hole ihn.« Lysander spurtete los. Ohne Meos Reaktion abzuwarten, rannte er über den Flur zurück bis zum Lift. Der befand sich laut Anzeige im vierten Stock. Keine Zeit verlieren! Lysander hechtete die Treppen hoch. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Sein Atem ging keuchend. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Im dritten Stock stolperte er, knallte auf den Boden, rappelte sich auf, spurtete weiter. Vierte Etage. Im Flur jede Menge Leute. Polizei. Nachbarn. Er rannte eine Frau beinahe um, drängte sich in Bärs Wohnung, stürzte ins Zimmer mit dem PC. Der bullige Polizist war noch da. »Du schon wieder. Jetzt schleichst dich aber.«
»Meo schickt mich. Die Schlüssel…« Lysander griff sich den Bund. Dabei fiel sein Blick auf den Monitor. Er erstarrte. Lou! Sie stand vor der Matratze und hielt die Flasche in der Hand. Langsam hob sie sie. Stück für Stück und blickte dabei in die Kamera. Ganz demonstrativ. Was sollte das? Was machte sie da?
Sie setzte die Flasche an die Lippen.
»Nein! Nein! Mach das nicht!« Mit der Hand schlug er auf den Monitor. Sein Schrei gellte durch den Raum und ließ alle zusammenfahren.
»Notarzt! Rufen Sie einen Notarzt!« schrie Lysander den Bulligen an. »Sie wird ihn brauchen, wenn wir sie da rausgeholt haben.« Ohne sich zu vergewissern, ob der Polizist das auch tat, rannte Lysander aus der Wohnung.
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Langsam reckte sie sich, befahl ihren Muskeln den Oberkörper aufzurichten, die Schultern zu straffen, den Rücken gerade zu machen, rang mit ihren Gesichtsmuskeln und zwang ihnen Zuversicht anstelle von Verzweiflung auf. Doch sie spürte, dass ihr das nicht wirklich gelang. Sie fühlte sich so schwach und klapprig. Ihre Beine zitterten und ihr war kalt. So kalt. Am liebsten hätte sie sich auf der Matratze zusammengekrümmt und die Decke über den Kopf gezogen. Doch sie musste es ihm zeigen. Sie ließ sich nicht unterkriegen. Nicht von ihm. Er würde nicht die Oberhand behalten. Er durfte sie nicht besiegen.
Aber ihre Gedanken flossen so träge dahin, als kämpften sie sich in Zeitlupe durch zähen, modrigen Schlamm.
Vielleicht war das ja alles nicht echt, nicht wirklich. Vielleicht befand sie sich einfach nur in einem schrecklichen Albtraum und gleich würde sie aufwachen und alles war gut.
Alles gut. Alles würde gut. Sie setzte die Flasche an die Lippen.
Im selben Moment streifte ein kühler Hauch sie und jagte ihr einen Schauer über die nackten Arme wie eine Warnung. Nein! Mach das nicht. Die Härchen richten sich auf. Sie ließ die Flasche sinken. Gleichzeitig begann sich der Kellerraum zu drehen, flimmernde Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen, dann wurde es dunkel um sie.
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Lysander spurtete durch den Keller. Sein Atem ging keuchend. Der Puls raste. Jeder Herzschlag ein Vibrieren. Angst trieb ihn vor sich her, jagte ihn durch die unterirdischen Gänge. Völlig atemlos erreichte er die drei vor der grauen Tür. Meo redete mit der Hausmeisterin. Russo telefonierte.
Lysanders Hände zitterten. So viele Schlüssel. Welcher war der richtige? Ratlos sah er seinen Bruder an. »Bärs Schlüssel. Einer muss passen.«
Meo nahm ihm den Bund aus der Hand, fächerte ihn auf und musterte die Schlüssel. »Der könnte es sein.« Er schob ihn
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