Dein Blick so kalt
sollte das? Am liebsten hätte sie die Hand abgeschüttelt. »Mir geht nur ständig ein Witz durch den Kopf, den vorher ein Kunde erzählt hat. Kennst du den?« Abwartend sah er sie an.
Noch nicht, dachte Lou. Aber sicher gleich. Sie zog die Schultern hoch und ließ sie fallen. Seine Hand auf ihrem Arm ließ sich so leider nicht abschütteln.
»Sie sagt: ›Du, Schatz, steht schon fest, was wir heute Abend machen?‹ Er sagt: ›Aber sicher, fass mal an!‹« Julian brach in Gelächter aus.
Lou schüttelte es. Das war einfach nur ekelhaft. Angewidert stellte sie die Kaffeetasse ins Spülbecken und trat dabei zur Seite. Endlich war sie die Hand los.
»Aber sicher, fass mal an! Ist der nicht komisch?« Ihr Chef wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln.
Nee. Das ist einfach nur widerlich und eklig und ich könnte glatt kotzen. Das hätte Lou ihm am liebsten gesagt. Doch sie biss sich auf die Zunge. Sie wollte keinen Stress mit ihrem Chef.
18
Sie kam aus dem Haus und legte ihren Rucksack und einen zusammengerollten Pullover in den Radkorb. Wohin sie wohl wollte? Sicher traf sie sich mit jemandem. Solche wie sie suchten Kontakt, fanden schnell Anschluss und Freunde.
Sollte er ihr folgen?
Doch alles hatte seine Zeit. Es war noch zu früh. Er musste erst noch mehr über sie in Erfahrung bringen. Und er musste einige Vorbereitungen treffen.
Jetzt machte sie das Rad los, schwang sich darauf und fuhr davon. Er sah ihr nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.
Lou war ganz nach seinem Geschmack. Einfach perfekt. Sie strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Kommandieren konnte sie schon wie eine Alte. Eine große Klappe hatte sie außerdem. Gab Anweisungen, wusste genau, was sie wollte, und wirkte unverwundbar.
All das würde er ihr nehmen. Stück für Stück. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Stunde um Stunde.
19
Nachdem Lou mit Caro telefoniert und ihr einen schönen Hüttenurlaub gewünscht hatte, packte sie ihre Sachen und machte sich auf den Weg zum Flaucher. Während sie durch die Isarauen radelte, vermisste sie ihre beste Freundin bereits. Zwei Wochen kein Kontakt. Doch da musste sie nun durch, denn auf der Hütte gab es nicht mal ein Handynetz. Kurz nach sieben kam sie endlich beim Flauchersteg an. Es war Freitagabend, blauer Himmel, Sonnenschein. Kein Wunder, dass dort viel los war.
Vor Lou lag der Fluss, der gen Norden strömte. Auf den Kiesbänken tummelten sich Hunderte Menschen. Sie schob das Rad über den holprigen Untergrund und hielt Ausschau nach Jem und seinen Freunden. Überall wurde gegrillt. Bierkästen standen zur Kühlung im Wasser. Kinder planschten in einem Schlauchboot. Am Wehr, über das brausend das Wasser floss, knutschte ein Pärchen. Ein Hund brachte ein Stöckchen. Ein anderer kam aus dem Wasser und schüttelte sein klitschnasses Fell, dass die Tropfen nur so stoben. Weiter hinten baute ein Vater mit seinen Kindern aus Steinen einen Damm. Es roch nach Feuer, Rauch und Bratwürstchen und nach Sonnencreme. Hier und da schallten Gesprächsfetzen, lautes Lachen und Kreischen von Kindern herüber. Ein Junge trommelte geistesabwesend auf Bongos. So hatte Lou sich den Sommer in München vorgestellt. Wahnsinn!
Bei einem angeschwemmten Baumstamm stand jemand und winkte. Es war Jem.
Lou hob ebenfalls die Hand und schob das Rad zwischen all den Leuten hindurch.
»Hi Lou.« Jem trug ausnahmsweise mal nicht Schwarz, sondern bunte Badeshorts, die ihm bis zu den Knien reichten.
»Es war gar nicht so einfach, euch zu finden.« Sie kettete das Rad an einen Baum und holte ihre Sachen aus dem Korb.
»Schön, dass du gekommen bist. Leute, das ist Lou. Sie macht auch ein Praktikum bei Döhrig.« Diese Worte richtete er an eine Gruppe von drei Jungs und zwei Mädchen, die sich vor dem verwitterten Baumstamm im Halbkreis niedergelassen hatten und damit beschäftigt waren, ein Feuer zu entfachen. Nun sahen sie auf. »Und Lou. Das sind meine Freunde.« Der Reihe nach stellte Jem sie vor. Mark, den Bassisten der Band. Er nickte ihr zu. Sie registrierte braune Dreadlocks und einen flusigen Kinnbart. Das Mädchen neben ihm war Marks Freundin Bea. Lustige blaue Augen, ebenfalls Rastalocken, die ein schwarzes Band aus der Stirn hielt. Es folgte David, den alle Dave nannten. Seitenscheitel, Brille. Er sah aus wie ein Beamtensohn, studierte Geologie und spielte mit Jem im selben Verein Basketball. Neben ihm saß Manu. Blonde Haare, ein klares, frisches Gesicht. Sie studierte Grafik-Design im
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