Dein Blick so kalt
Uniformen trugen und auf dem Kopf rote Baretts, sich langsam durch den Wagon bewegten und die Karten kontrollierten.
Das Gewitter trieb die Leute nach Hause. Daher war die U-Bahn relativ voll. Lou hoffte inständig, dass sie aussteigen konnten, bevor die beiden bei ihr ankamen. Sie stupste Lysander an und wies mit dem Daumen unauffällig hinter sich.
»Die Rotkäppchen arbeiten noch?«, sagte er ungläubig. »Das ist jetzt nicht wahr.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Lou konnte einfach nicht anders, sie lachte. »Such dir schon mal einen schönen Monolog aus.« Die U-Bahn fuhr in den Bahnhof ein. Sie stiegen aus. Noch mal Glück gehabt! Die Kontrolleure waren nicht bis zu ihnen gekommen.
Lysander begleitete sie bis vors Haus und handelte währenddessen aus, bei der Einlösung seiner Wettschuld kein Kostüm tragen zu müssen. Lou stellte das Rad zu denen der anderen Hausbewohner in den Ständer und kettete es an. Vor der Haustür verabschiedete sie sich von Lysander, der plötzlich schüchtern wirkte. Er zog die Schultern hoch, schien ihr die Hand reichen zu wollen, schob dann aber beide Hände in die Hosentaschen. »Na, dann… Gute Nacht.«
20
Im Haus war es dunkel und still. Lous Hand tastete nach dem Schalter. Flackernd ging das Licht an. Während sie auf den Lift wartete, sah sie Lysander nach, der auf dem Weg Richtung Straße verschwand. Einen Moment lang hatte sie mit dem verwegenen Gedanken gespielt, ihn zum Abschied einfach zu umarmen. Rein freundschaftlich, so wie sie das bei all ihren Freunden machte. Doch dann hatte sie sich nicht getraut.
Der Lift kam. Sie stieg ein und fuhr nach oben. Ein seltsamer Geruch hing darin. Eine Mischung von Schweiß und Zigaretten und noch etwas anderem wie Kräuter oder Hustentee. Erst vor Kurzem musste jemand den Aufzug benutzt haben. Und dann fiel ihr ein, woher sie den Geruch kannte. Der Prinzipienreiter roch so.
Lou war hundemüde und gleichzeitig total aufgekratzt. Und das lag an Lysander. Er war einfach… wow! Und er war nett. Echt nett. Er hatte sie bis nach Haus begleitet und plötzlich wurde ihr klar, dass sie gar nicht wusste, wo er wohnte. Vielleicht fuhr er jetzt quer durch die ganze Stadt zurück nach Hause, und das konnte ja nur bedeuten, dass sie ihm auch gefiel. Plötzlich fühlte sich ihr Kopf an, als sei er mit rosa Wolken gefüllt.
»Vielleicht wohnt er aber einfach nur um die Ecke«, sagte sie halb laut zu sich selbst und sperrte die Wohnungstür auf. Und, liebe Lou, er hat dich nicht nach deiner Handynummer gefragt. Also bilde dir bloß nichts ein. Sohn eines Professors. Wahrscheinlich ist er einfach nur gut erzogen und hat dich deshalb nach Hause begleitet. Völlig in Gedanken zog sie die Tür hinter sich zu, rutschte beinahe aus und fing sich gerade noch. Was war das denn gewesen? Vor ihr auf dem Boden lag ein großes braunes Kuvert, auf das sie getreten war. Jemand musste es unter der Tür durchgeschoben haben.
Sie hob es auf. Keine Anschrift. Kein Absender. Einfach nur ein Kuvert. Vielleicht von Onkel Achim. Sie öffnete es. Eine zusammengefaltete Zeitungsseite kam zum Vorschein. Eine Buchbesprechung. Modern Art. Kunst vom Impressionismus bis heute. Daneben ein Artikel über eine Ausstellung im Museum Brandhorst. Georg Herold – Multiple Choice. Darunter eine halbe Seite Traueranzeigen.
Lou drehte die Seite um. Kreuzworträtsel. Sudoku. Fernsehprogramm. Nirgendwo war etwas angemarkert. Keine handschriftliche Notiz. Sie guckte ins Kuvert. Auch kein Zettel.
Was wollte Onkel Achim ihr damit sagen? Wollte er ihr einen Besuch der Ausstellung empfehlen? Georg Herold. Der Name sagte ihr nichts. Vielleicht war das ja ganz interessant. Sie betrachtete die Seite genauer. Sie stammte aus der Süddeutschen Zeitung und war mehr als zwei Wochen alt.
Innerlich zuckte Lou die Schultern. Sie war müde und würde dieses Rätsel ganz sicher nicht heute lösen. Zeit, ins Bett zu fallen.
Als sie am nächsten Tag erwachte, war es schon kurz nach zehn. Die Sonne schien durch die Ritzen der Jalousie und malte ein Streifenmuster auf die gegenüberliegende Wand. Lou schälte sich aus der Decke, ging ins Bad und guckte dann in den Kühlschrank, in dem vor allem eines war: reichlich Platz. Fürs Frühstück musste sie erst einmal etwas einkaufen. Sie zog sich an und machte sich auf den Weg. Im kleinen Laden an der Ecke kaufte sie Milch und Joghurt und in der Bäckerei eine Breze und eine Rosinenschnecke.
Wieder daheim, machte sie sich einen Milchkaffee
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