Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
gemacht? Ist es das, worum es sich hier dreht?
Ich muss es wissen. Es ist ein Drang, eine entsetzliche Neugierde. Vermutlich dieselbe Neugierde, die mich an jenem Abend am Embankment stehen bleiben und zuschauen hieß, als man den Leichnam aus der Themse zog.
Zeit, mich anzuziehen und mich um die verfluchten Ablesungen zu kümmern. Ich nehme Isaak auf jeden Fall mit.
Soll ich den anderen erzählen, was ich gesehen habe?
19. Oktober
Drei Tage, seit ich es sah, und nichts mehr. Keine Schwierigkeiten gestern bei den Ablesungen. Isaak war kein bisschen unruhig. Er hat versucht, unter der Wetterhütte ein Loch zu buddeln.
Das machte mir Mut, und ich nahm ihn daraufhin mit, um mich am Strand und bei den Minenruinen nach Hinweisen umzuschauen. Natürlich habe ich nichts gefunden. Wie denn auch, im Dunkeln, und alles vom Schnee zugedeckt. Und ehrlich gesagt, ich konnte mich nicht überwinden, mich lange dort draußen aufzuhalten. Um mich nicht so feige zu fühlen, bin ich zu dem Bärenpfosten gegangen und habe Algies «Fahne» abgeschnitten: den toten Eissturmvogel, der seit drei Wochen da gebaumelt hat. Ich hatte gedacht, er wäre verwest, aber dafür war es natürlich zu kalt. Isaak hat ihn binnen Minuten vollkommen zerfleddert.
Drei Tage ohne Vorkommnis, und es geht mir ein wenig besser. Man braucht nichts im Leben zu fürchten. Man muss nur alles verstehen. Sie hatte recht, die alte Marie Curie. Ich habe mich gefürchtet, weil ich nicht verstand, was ich gesehen habe. Jetzt, da ich es verstehe – oder zumindest eine einleuchtende Hypothese habe –, kann ich damit umgehen.
Ich werde es den anderen wohl irgendwann erzählen müssen, aber jetzt noch nicht. Darüber zu reden würde es wahr werden lassen.
Dabei muss ich an Mutter denken. Sie war eine Meisterin darin, nicht über Dinge zu sprechen. Sie hat sich stets geweigert, darüber zu reden, dass mit Vater etwas nicht stimmte. Sie sagte immer, nein, Jack, das macht es nur wahr. Das hat mich jedes Mal erzürnt. Ich sagte darauf, aber es ist wahr. Und sie sagte, nun, dann eben noch wahrhaftiger. Und sie hatte recht.
Heute Nachmittag fragte Algie unvermittelt, ob ich mitkommen wolle, Hundeschlitten fahren, und auf einmal wollte ich es unbedingt. Es ist genau das, was ich brauche: körperliche Anstrengung. Zum Henker mit allem anderen. Algie hat mir auch ein bisschen leidgetan. Er ist kein kompletter Idiot, er weiß, dass er uns auf die Nerven geht, und er weiß, dass Gus mich vorzieht. Und ich glaube, er hat ein schlechtes Gewissen wegen der Robbe und der Sache mit den Hundezähnen. Mich zu fragen, ob ich mit Schlitten fahren komme, war vielleicht seine Art, die Hand zur Versöhnung zu reichen.
Der Schlitten war auf seinem Platz hinter dem Klosett festgefroren, und wir mussten ihn loshacken. Dann mussten wir den Hunden das Geschirr anlegen und sie anspannen. Sie wussten sogleich, was anstand, und gerieten außer Rand und Band; sie rennen für ihr Leben gern. Und Isaak muss den anderen gesagt haben, dass ich o.k. bin, denn sie waren wirklich sehr artig zu mir.
Der Schlitten ist aus Hartholz, hat mit Stahl beschlagene Kufen und ist praktisch unverwüstlich: Er gleitet über Schnee, Eis, sogar über nacktes Felsgestein. Ich stellte mich mit Algie hintendrauf, und sobald er die Bremse löste, sausten wir los: Die Hunde liefen schweigend und ernsthaft in der Eskimo-Fächerformation, was verglichen mit der europäischen Zweierformation chaotisch aussieht, sich aber sehr bewährt hat.
Gott, war das belebend. Wir wurden dermaßen heftig durchgerüttelt, dass ich um ein Haar heruntergeflogen wäre. Wir haben auf Stirnlampen verzichtet; ohne sie sieht man mehr, wenn die Augen sich an Sternenlicht und Schneeschimmer gewöhnt haben. Wir sind nach Westen gerattert, über das höckerige Eis auf dem Bach, dann an den Felsen vorbei. Keine Zeit, sich zu ängstigen. Nicht bei dem Pfotengetrappel und dem Schlittenschrappen, wobei die Ruten der Hunde nach rechts oder links schwenkten; dann und wann stieg ein strenger Geruch auf, wenn einer von ihnen sich entleerte. Es war schnell, anstrengend und ungemein lebhaft.
Algie benutzt keine Peitsche, er ruft nur ille-ille für rechts oder yuk-yuk für links, und dann wenden sie. Wir rasten südwärts über schneebedeckten Kies, am Ufer des Wijdefjords entlang. Isaak, im Fächer rechts außen, sah immer mal wieder zu mir hinüber. Einmal befand er, dass er genug hatte, machte kehrt und sprang auf den Schlitten. Ich musste unwillkürlich
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