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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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verheißt. So glänzend und glücklich die Vergangenheit auch gewesen sein mag, erscheint sie uns doch kontaminiert von Naivität, von Ignoranz, teils von Dummheit: Wir wußten darin nie, was später kommen würde, und jetzt wissen wir es, und in diesem Sinne ist sie tatsächlich unterlegen, objektiv und effektiv; deshalb trägt sie immer ein Element unvermeidlicher Torheit in sich und läßt uns Scham empfinden, weil wir nicht bei der Sache waren, weil wir seinerzeit etwas geglaubt haben, von dem wir heute wissen, daß es falsch war, oder vielleicht war es das damals nicht, aber es hat auch aufgehört, wahr zu sein, da es nicht widerstanden oder fortgedauert hat. Die Liebe, die unverbrüchlich zu sein schien, die Freundschaft, an der wir nicht zweifelten, der Lebende, mit dem wir als ewig Lebendem rechneten, weil wir uns die Welt ohne ihn nicht vorstellen konnten, oder daß die Welt noch die Welt wäre und nicht ein anderer Ort. Noch unseren geliebtesten Toten betrachten wir zwangsläufig ein wenig von oben herab, mehr noch nach Ablauf von mehr Zeit, die ihn noch hinfälliger erscheinen läßt, nicht nur voll Schmerz, sondern voll Mitleid, denn wir wissen, daß er nicht erfahren hat – o, er war ein Traumtänzer –, was nach seinem Fortgang geschehen ist, während wir sehr wohl auf dem laufenden sind. Wir haben seinem Begräbnis beigewohnt und gehört, was dort gesagt, auch was bloß dahingemurmelt wurde, als fürchteten die Sprecher, daß er sie noch hören könnte, und wir haben gesehen, wie jene, die ihm geschadet haben, sich rühmten, eng mit ihm befreundet gewesen zu sein, und vorgaben, ihn zu beweinen. Er sah nichts und hörte nichts. Er starb getäuscht wie alle, ohne jemals genug zu wissen, und gerade das ist es, was uns veranlaßt, sie alle zu bemitleiden und als arme Männer und arme Frauen, als arme erwachsene Kinder, als arme Teufel zu betrachten.
    Auch diejenigen, die wir hinter uns gelassen oder die sich von uns abgewandt haben, wissen nichts mehr von uns, für uns sind sie erstarrt und unbeweglich wie die Toten, und die bloße Aussicht, ihnen wieder zu begegnen und ihnen erzählen und zuhören zu müssen, bereitet uns große Mühe, zum Teil, weil uns scheint, daß weder sie noch wir erzählen oder uns zuhören wollten. ›Wie anstrengend‹, denken wir, ›dieser Mensch hat viel zu lange nicht an meinem Leben teilgenommen. Er wußte gewöhnlich fast alles von mir oder zumindest das Wichtigste, und jetzt hat er eine Lücke, die gar nicht geschlossen werden könnte, selbst wenn ich ihm in allen Einzelheiten erzählen würde, was ohne seine unmittelbare Kenntnis geschehen ist. Wie anstrengend, wieder Umgang miteinander zu haben und sich zu erklären, und wie verwirrend, augenblicklich die alten Reaktionen und die alten Laster und die alten Ängste und die alten Töne wiederzuerkennen, meine ihr gegenüber und ihre mir gegenüber; und sogar dieselbe abgenutzte Eifersucht und dieselben Leidenschaften, nur besänftigt. Ich werde sie nie mehr wie beim ersten Mal sehen können, auch nicht als meinem Alltag zugehörig, sie wird mir sowohl abgenutzt als auch fremd erscheinen. Ich werde nach Hause gehen, um Luisa zu sehen und die Kinder, und nachdem ich eine ganze Weile mit ihnen zusammengewesen bin und sie allmählich wieder an mich gewöhnt habe, werde ich mich noch eine kürzere Weile neben sie setzen, bevor wir vielleicht zum Abendessen in ein Restaurant gehen, während wir auf die Babysitterin warten, die sich verspätet, auf dem so viele Jahre geteilten Sofa, doch jetzt wie ein fremder Besuch, mit Vertrauen und Mißtrauen, und wir werden nicht wissen, wie wir uns verhalten sollen. Es wird Gesprächspausen geben und Geräusper und blödsinnige, zwischen uns nie dagewesene Sätze wie ›Na, wie geht es dir?‹ oder ›Sehr gut siehst du aus‹. Und dann wird uns klarwerden, daß wir nicht einmal zusammensein können, ohne es wirklich zu sein, und daß wir es außerdem nicht wollen. Es wird weder vollkommene Selbstverständlichkeit noch gänzliche Verstellung geben, man kann nicht oberflächlich sein gegenüber jemandem, den man genau und seit jeher kennt, auch nicht tiefschürfend gegenüber jemandem, der unsere Spur verloren und die eigene verborgen hat und so vieles nicht weiß. Und nach einer halben, nach vielleicht einer Stunde, höchstens nach zwei, beim Nachtisch, werden wir finden, daß es das war, und, was seltsamer ist, daß dieses eine Mal genügt und ich dreizehn Tage zu viel habe. Und selbst

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