Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
wenn wir einander, was undenkbar ist, in die Arme fielen und sie zu mir sagte, was ich so lange schon von ihr zu hören wünsche, ›Komm, komm, ich habe mich vorher so getäuscht. Nimm wieder diesen Platz neben mir ein. Ich habe dein Gespenst nicht verscheucht, dieses Kissen gehört dir noch, und ich habe es nicht verstanden, dich zu sehen. Komm und nimm mich in die Arme. Komm zu mir. Kehr zurück. Und bleib für immer da‹; selbst wenn ich daraufhin mein Apartment in London aufgäbe und mich von Tupra und von Pérez Nuix, von Mulryan und Rendel und sogar von Wheeler verabschiedete und die jähe Aufgabe in Angriff nähme, sie in eine lange Parenthese zu verwandeln – doch sogar die endlosen werden geschlossen, und außerdem kann man sich über sie hinwegsetzen – und dann zu ihr nach Madrid zurückkehrte – und ich sage nicht, daß ich es nicht tun würde, wenn es diese Gelegenheit gäbe, wenn sie sie mir gäbe –, würde ich es in dem Wissen tun, daß das Unterbrochene nicht wieder aufgenommen werden kann, daß jene Lücke für immer bleibt, verborgen vielleicht, aber konstant, und daß ein Vorher und ein Nachher niemals miteinander verschmelzen.‹
O bwohl ich mich ehrlich freute, meine Stadt wieder zu betreten und die Meinen zu sehen, selbst diejenigen, die sich nicht mehr als die Meinen empfanden; ihren Gesichtern von gestern gegenüberzutreten, nachdem ich mich aus dem Jetzt und aus ihrem Jetzt entfernt hatte, und ohne Übergang oder Vorwarnung ihren Gesichtern von morgen zu begegnen, plante ich den Aufenthalt also nicht für die drei Wochen, die mein Chef mir großzügig angeboten hatte, sondern nur für zwei, und außerdem zögerte ich meine Abreise nach der Rückkehr aus Berlin noch etwas weiter hinaus, um mich erst einmal nach De la Garza zu erkundigen.
Ich erwog, ihn einfach anzurufen und nach seiner Gesundheit zu fragen, doch dann dachte ich, wenn ich meinen Namen nannte, würde er vielleicht gar nicht mit mir reden wollen, und wenn ich einen falschen nannte und irgendeinen Vorwand oder eine müßige Anfrage vorschob, so würde ich es schwer haben, ihn anschließend nach seinem Gesundheitszustand auszufragen, so unvermittelt wie grundlos, wo ich doch angeblich ein Unbekannter war. Ich beschloß daher, ihn mit meinem Besuch zu überraschen, das heißt ohne Terminvereinbarung zu kommen. Aber da heutzutage niemand in ein öffentliches Gebäude gelangt, ohne vorgetragen zu haben, was er dort will, und nachgewiesen zu haben, daß er dort etwas verloren hat, rief ich einen Bekannten vom BBC Radio an, mit dem ich am Anfang meiner Londoner Zeit ermüdende Sendungen über Terrorismus und Tourismus bestritten hatte, bevor ich dann von Tupra oder besser von Wheeler angeworben worden war; wie ich selbst hatte er es bald geschafft, seinen langweiligen Arbeitsplatz zu verlassen, und seine Stellung unzweifelhaft verbessert, er bekleidete inzwischen einen unbestimmten, aber nicht völlig belanglosen Posten bei der Spanischen Botschaft am Hofe meines Schutzheiligen St. James oder San Jacobo. Der Bursche, ein schmieriger und treuloser Mensch mit einer despotischen und zugleich knechtischen Geisteshaltung (was häufig zusammengeht, trotz des scheinbaren Gegensatzes), hieß Garralde, und wenn um sein Fortkommen ging, fehlte ihm jeglicher Skrupel; er war stets bereit, sich unterwürfig zu zeigen, und zwar nicht nur gegenüber Mächtigen und Berühmten, sondern auch gegenüber allen, die es seiner Einschätzung nach eines Tages werden konnten, in wie geringem Maß auch immer: genug jedenfalls, um ihm eine künftige kleine Gefälligkeit zu erweisen oder von ihm darum angegangen zu werden; ebenso gab er sich denen gegenüber geringschätzig, die ihm seiner Voraussicht nach niemals von irgendeinem Nutzen sein würden, wobei er freilich keine Bedenken hatte, sich ihnen urplötzlich und mit dem größten Zynismus von seiner bezauberndsten Seite zu zeigen, wenn er am Ende herausfand, daß er sich verschätzt hatte. Er hatte ein breites, fast schon ein Vollmondgesicht, kleine Äuglein und großporige Haut, die aussah, als wäre sie aus Fruchtfleisch, und seine Zähne standen ein wenig auseinander, was ihm ein wollüstiges Aussehen verlieh; soweit ich wußte, entsprach dem bei ihm nur seine rastlose Wesensart – es war, als sonderte er ohne Unterlaß Körpersäfte ab –, nicht aber sein Handeln: Er war die Art von Mensch, der mit einem Lachen im Gesicht alle Welt umschmeichelt – Frauen wie Männer vermutlich, letztere
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