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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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interpretieren konnte, eigentlich kann das niemand unter derartigen Umständen, nicht einmal die Besten. Weder Wheeler noch Pérez Nuix noch Tupra wären dazu in der Lage gewesen, in ihrem Bericht über mich in der alten Kartei hieß es: ›Bisweilen sehe ich ihn wie ein Rätsel. Und bisweilen glaube ich, daß er es auch für sich selbst ist. Dann denke ich wieder, daß er sich nicht sehr gut kennt. Und daß er sich keine Aufmerksamkeit schenkt, weil er in Wirklichkeit darauf verzichtet hat, sich zu verstehen. Er hält sich für einen hoffnungslosen Fall, an den er keine Überlegungen verschwenden darf. Er weiß, daß er sich nicht versteht und es nie tun wird. Und deshalb versucht er es gar nicht. Ich glaube, er stellt keine Gefahr dar. Aber fürchten muß man ihn wohl.‹ Custardoy wußte zu dem Zeitpunkt nicht, daß ich keine Gefahr darstelle, aber sehr wohl, daß man mich fürchten muß.
    »Auf den Tisch damit.« Und das sagte ich ganz ruhig, es schien mir nicht nötig, laut zu werden oder einen Kraftausdruck hinzuzufügen. »Oder soll ich dir vielleicht lieber eine Kugel verpassen, und alles ist vorbei? Das kostet mich nichts, das ist in einer Sekunde erledigt.« Ja, wie merkwürdig es ist, wenn ein Mensch einem in allem gehorcht, wenn er einem völlig ausgeliefert ist.
    Er schloß die Augen und kniff sie zusammen, als er das alte Metall auf der Haut spürte, unserer Haut, die nichts aushält, sie taugt nichts, alles verletzt sie, sogar ein Fingernagel ritzt sie, ein Messer schlitzt sie auf und eine Lanze zerfetzt sie, ein Schwert zerreißt sie bei der ersten Berührung, nach seinem Weg durch die Luft und eine Kugel zerstört sie. (Auf Custardoys Wange hatte der Schnitt eine Blutspur hinterlassen, aber es lief nicht herab, es gerann dort, wo er die Wunde hatte.) Ich sah an ihm den Ausdruck eines Toten, von jemandem, der sich tot glaubt und sich tot weiß; da er jedoch noch lebendig war, war es ein Bild von grenzenloser Angst und Abwehr, letzteres nur geistig, vielleicht ein Wunsch; sein Gesicht war noch stärker erbleicht, als hätte man ihm einen raschen Pinselstrich mit schmutzig-weißer oder aschgrauer oder kranker Farbe verpaßt oder ihn mit Mehl oder vielleicht Puder bestäubt, ähnlich wie die schnellen Wolken, wenn sie die Felder verdunkeln und ein Schauer durch die Herden geht, oder wie die Hand, die die Plage ausstreut oder den Verstorbenen die Augen zudrückt, denn die wirkliche Todesgefahr nimmt man immer wahr, man glaubt sofort daran und erwartet den Moment. Ebenso wie De la Garza zog er es vor zu warten, ohne etwas zu sehen, die Lider zitterten oder pochten – vielleicht rollten ihm die Pupillen darunter wie verrückt hin und her. Er legte die Hände auf den Tisch, und ob er das tat, die beschädigte und die gesunde, erstere mit Mühe, er konnte sie nicht ganz ausstrecken oder flach auflegen. Und ich handelte abermals schnell, ich wartete nicht und hielt mich nicht auf, ich hatte genug von seiner Gesellschaft und wollte jetzt bald weg von dort; auch von seinem Gesicht hatte ich genug, trotz der segensreichen Ähnlichkeit, ich schlug ihm mit dem Schürhaken ein zweites und dann rasch ein drittes Mal auf dieselbe Hand, und mit derselben Kraft wie vorher, ich glaube, diesmal brach ich ihm unterhalb der Knöchel die Finger oder einige davon, so klang es für mich. Ihm entfuhren zwei weitere Aufschreie, und er griff mit der noch heilen rechten danach, er konnte nicht vermeiden, daß die eine die andere tröstete, die linke war in einem scheußlichen Zustand, aber ich sah nicht viel davon, ich wollte sie mir nicht ansehen oder mein Werk betrachten, die zerschmetterten Hände von Pérez Nuix’ Vater hatte ich sehr wohl gesehen, mit denen er über einem Billardtisch vergeblich versuchte, sich zu schützen, auf einem Video, ich wollte nicht bis ins letzte Detail erfahren, was ich bei ihm angerichtet hatte, wenn ich es nicht richtig sah, würde es mir leichter fallen zu glauben, das alles sei nur ein Traum wie aus einem fremden Land gewesen, das später zu glauben, in den Jahren, die kommen sollten, und auch jetzt gleich nach meiner Rückkehr ins Hotel (ich hatte ein Rückflugticket, und mein fremdes Land war Spanien, für mich war es das jetzt zum Teil, und ich würde bald wieder gehen). Bei allem Schmerz mußte es Custardoy noch als Kleinigkeit erscheinen, als ein Glück, er hatte Angst um seine gute Hand gehabt und vor einem Schuß aus nächster Nähe in die Schläfe. Aber er hatte noch den Mumm, sich zu

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