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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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seine müde Zunge ruhen. Ich berichtete ihm von meinem Verdacht – nein, es war eine Gewißheit – hinsichtlich des Verbrechens, über das die Presse dieser Tage so ausgiebig spekulierte, vermutlich habe er davon erfahren.
    »Ja, ich habe es in den Zeitungen gelesen.« Und er strich mit spitzen Fingern über diejenigen, die vor ihm lagen, als fürchtete er, sich zu beschmutzen. »Die widerwärtige Sonntagspresse ist heute voll davon, und Mrs. Berry, die mehr fernsieht als ich, hat es ebenfalls erwähnt, entsetzt und schockiert. Und überaus enttäuscht: Anscheinend mag sie die Musik dieses Dearlove. Sie hat Vorlieben, die mir unbekannt sind.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu, als verkündete er ein Urteil: »Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß ihr etwas mit der Sache zu tun hattet. Erstaunlich, daß mich die Gruppe immer noch in Erstaunen versetzen kann. Wobei sie sich natürlich stärker verändert haben dürfte, als ich mir vorzustellen vermag.« Er überlegte kurz und sagte: »Ich weiß nicht, Jacobo. Ich weiß nicht, was Tupra im Schilde führt, er ruft mich selten an und erzählt mir dann kaum etwas. Je älter man wird, desto mehr entfernt ihr euch alle, ich halte euch das nicht vor.« Aber es lag doch ein Vorwurf in dieser Aussage, auch mir gegenüber. »Ja, das ist durchaus Tupras Stil, wenn er nicht aus einem Impuls heraus handelt und sich Zeit läßt. Soweit ich ihn kenne, also nicht sehr: Toby kannte ihn besser. Oder, na ja, er kannte den, der sein Schüler war, den Tupra von früher. Ich kann mir nicht gut denken, welche Gefahr dieser Sänger darstellen sollte, damit man ihm eine solche Falle stellt und ihn aus dem Weg schafft. Aber es läßt sich nichts ausschließen, mit der Zeit lernt man, niemanden als ungefährlich einzustufen. Im Grunde birgt jeder Mensch Gefahr, so müssen wir es sehen, die wir uns dieser Tätigkeit widmen. Und sie besteht darin, andere zu beschützen, vergiß das nicht, nur darum geht es. Und uns zu schützen, denn wenn wir nicht für unsere eigene Sicherheit sorgen, werden wir auch niemand anderen schützen können. Du scheinst dich jedenfalls nicht getäuscht zu haben, wenn deine Vorhersage sich so buchstäblich bewahrheitet hat. Der Bursche stellte eine echte Gefahr dar, ein hemmungsloser Mensch, das ist offensichtlich. Ein Mörder. Du solltest dich deswegen nicht zu sehr quälen.«
    »Sie haben immer noch nichts dagegen, wenn ich rauche, nicht wahr?« Er schüttelte den Kopf, ich hielt ihm die Schachtel hin, er schüttelte abermals den Kopf, ich steckte mir eine Karelias an. »Ich fürchte, die Vorhersage hat sich nur deshalb bewahrheitet, weil ich sie ausgesprochen habe, Peter«, sagte ich. »So einfach ist das nämlich nicht. Es ist nicht ohne weiteres, auf natürliche, spontane Weise so gekommen. Dahinter steckten Berechnung und Trug, da haben Machenschaften stattgefunden, ein abgekartetes Spiel, ein gut informierter Strippenzieher, dem ich diesen Gedanken eingegeben habe, als wäre ich ein Iago. Ohne meine Prognosen wäre sicherlich nichts geschehen, und dann wäre Dearlove kein Mörder. Und außerdem ist ein Junge gestorben, der damit gar nichts zu tun hatte. Vielleicht hat er nicht einmal seinen Lohn erhalten. Ich bezweifle, daß Tupra ihn im voraus bezahlt hat. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll.« Wheeler saß wortlos da. Er sah mich an, die Hand am Kinn, aufmerksam und nachdenklich, ein wenig, als sähe er mich in einem neuen Licht oder als fragte er sich, was er angesichts einer nicht so sehr unvorhergesehenen wie irreparablen Situation mit mir machen solle. Er sagte nicht einmal ›Hmm‹, sondern musterte mich nur schweigend. Da fragte ich ihn: »Als Sie mich in diese Sache hineinzogen, wußten Sie da, daß so etwas geschehen konnte? Daß das, was Sie meine Gabe oder meine Fähigkeit nannten, dazu führen konnte, daß ein Mensch stirbt und ein anderer ins Gefängnis kommt? Daß derart drastische Maßnahmen ergriffen würden, daß sich das Leben der Beteiligten so ändern, daß dem einen gar ein Ende gesetzt würde? Ich glaube nicht, daß ich diese Arbeit fortsetzen kann. Ich möchte, daß Sie das als erster erfahren, noch vor Tupra. Schließlich waren Sie es, der mich zu ihm geführt und der mir von der Gruppe erzählt hat.«
    Auf einmal sah ich, daß er erneut hängengeblieben war, seine Stimme gehorchte ihm nicht, oder die Worte, wieder hatte ihn die vorübergehende Aphasie befallen, die ihm zufolge nichts Physiologisches war, sondern

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