Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
wie das übrige Europa besetzen, den früheren Edward VIII . als Marionette auf den Thron setzen würden. Also gab man mir und einem Marineoffizier vom NID (ein kümmerlicher Geleitschutz, wenn ich darüber nachdenke, heute wäre das undenkbar)« – ich kannte die Abkürzung: Naval Intelligence Division – »zwei Pistolen und legte uns nahe, von ihnen Gebrauch zu machen, sobald die geringste Gefahr bestünde, das Herzogspaar in unguter Weise zu verlieren, ob durch ihren Willen oder gegen ihn.«
»Gegen das Herzogspaar selbst?« unterbrach ich ihn. »Gegen einen ehemaligen König? Oder gegen die Gestapo?« Die Sache klang allerdings nach einem Märchen, obwohl sie das zweifellos nicht war.
»Nein, gegen die Gestapo, dazu hätte es ja keiner Anweisung bedurft, wobei da, fürchte ich, nicht viel zu machen gewesen wäre. Wir verstanden es natürlich so, daß das Herzogspaar gemeint war. Besser tot als in Hitlers Gewalt.«
»Wir verstanden? Man legte uns nahe?« Die Ausdrücke verblüfften mich. »Wollen Sie damit sagen, man hat Ihnen keinen unmißverständlichen Befehl erteilt?«
»Das war so ein Tick beim MI 6 , in Andeutungen zu sprechen. Aber man lernte schnell, sie zu entziffern, vor allem wenn man in Oxford gewesen war. Ich weiß nicht, ob das heute noch so üblich ist. Jedenfalls sagte man uns mehr oder weniger folgendes: ›Sie dürfen unter keinen Umständen in feindliche Hände geraten. Da wäre es vorzuziehen, sie beweinen zu müssen.‹« Der englische Ausdruck, den er verwendete, war ›… to mourn them‹, der auch mit ›… Trauer tragen‹ übersetzt werden könnte. Ehrlich gesagt hätte ich es ebenso verstanden wie er und der Offizier vom NID , mit dem er die Verantwortung geteilt hatte. Und auf ihn kam er nun in amüsiertem, fast scherz- oder klatschhaftem Ton zu sprechen: »Übrigens, weißt du, wer der Fregattenkapitän war, der mich damals begleitete?« Er sagte ›Commander‹, was, wenn ich mich nicht irre, bei der spanischen Marine besagtem Rang entspricht.
»Äh, nein«, antwortete ich. »Woher sollte ich das wissen.«
»Tatsächlich hat davon fast niemand je erfahren. Nicht einmal seine Biographen.« Er rief unvermittelt: »Estelle!« Und berichtigte sich dann automatisch: Es war ein Zeuge anwesend, auch wenn ich ein guter Freund war und schon bei anderer Gelegenheit gehört hatte, wie er sie beim Taufnamen rief. »Mrs. Berry!« Sogleich steckte Frau Berry den Kopf herein, sie war die ganze Zeit über in der Nähe, immer für ihn da. »Könnten Sie mir bitte den Reisepaß des Schokoladenseemanns bringen? Sie wissen ja, wo ich ihn aufbewahre. Ich möchte ihn Jacobo zeigen.« ›The Chocolate Sailor‹, so sagte er wörtlich. »Du wirst schon sehen, damit hast du nicht gerechnet, das wird dich sehr erheitern.« Und als Frau Berry nach ein paar Minuten wiederkam und ihm ein Dokument übergab (ich hörte sie die Treppe hinauf- und hinuntergehen, bis ins oberste Stockwerk), zeigte er es mir mit einem fast kindlichen Ausdruck scheuen Stolzes und sagte: »Da, schau.«
Es war ein Passierschein oder ›Diplomatenpaß‹, wie ganz oben zu lesen stand, ausgestellt vom britischen Botschafter in der Stadt meiner Geburt und gültig allein für eine Reise nach Gibraltar und zurück nach Madrid, ausgestellt am 16 . Februar 1941 , mitten im Zweiten Weltkrieg, und dann verlängert und validiert für eine Reise nach London via Lissabon, mit Datum zehn Tage später. ›Hiermit ersuchen und beanspruchen wir im Namen Ihrer Majestät alle, die es betrifft‹, hieß es in dem handschriftlich verfaßten Dokument, ›Herrn Ian Lancaster Fleming, samt von ihm mitgeführten Sendungen, zu gestatten, frei und ungehindert zu reisen, und ihm allen nötigen Beistand und Schutz zu gewähren.‹ »Aha«, sagte ich ohne großes Getue. »Ian Fleming.« Mein Mangel an Erstaunen schien Wheeler ein wenig zu enttäuschen. Er wußte nicht, daß ich heimlich die Widmungen gelesen hatte, die der Schöpfer von James Bond ihm in die Exemplare seiner Romane geschrieben hatte (›To Peter Wheeler who may know better. Salud!‹), und daß die Freundschaft oder der Umgang zwischen den beiden mich daher nicht völlig unvorbereitet traf. ›Da haben sie dieses Abenteuer also zusammen erlebt‹, dachte ich. »Da haben Sie dieses spanische Abenteuer also zusammen erlebt, als er noch gar nicht schrieb. Unglaublich.« Letzteres sagte ich, um ihn aufzumuntern.
»Der Diplomatenpaß ist aus dem Jahr darauf. Er hat ihn mir später geschenkt,
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