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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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wäre nichts passiert (der Anblick war wieder da, noch besser zum Teil), nahm sich zwei Oliven, nahm einen Kartoffelchip, trank einen zaghaften Schluck, vielleicht hatte sie besser im Griff, was sie trank, als ich geglaubt hatte. »Nun, Jaime, wie lautet deine Antwort? Kann ich auf deine Hilfe zählen? Es ist ein großer Gefallen.«
    Ich hatte zu lange gesessen. Ich stand auf und ging zum Fenster, schob es hoch, öffnete es für einen Augenblick, streckte den Kopf hinaus und schaute in den Himmel, auf die Straße, ließ mir die Wangen, den Nacken befeuchten, der Regen würde tage- und nächtelang nicht aufhören, es sah ganz danach aus, als würde er einige Zeit über der Stadt bleiben oder über dem Land, das für ihn › country ‹ war oder vielleicht auch ›Vaterland‹, der gefährliche, hohle Begriff und das gefährliche, zündende Wort, das einer Mutter erlaubt, ihren Sohn wie folgt zu rechtfertigen: ›Das Vaterland ist das Vaterland, und wenn es darum geht, sind Lügen keine Lügen mehr.‹ Arme, gefangene Mutter des Verräters nicht an diesem Vaterland, sondern am alten Freund, es ist immer sicherer, einem Einzelnen in den Rücken zu fallen, so nahe er einem auch sein mag, als der abstrakten, vagen Idee, zu deren Repräsentanten sich jeder aufschwingen kann, und so könnte man sich bei jedem Schritt mit den Beschuldigungen von Unbekannten konfrontiert sehen, von Parteigängern, die man nie gesehen hat und die sich durch unsere Handlungen oder Unterlassungen verraten fühlen; das ist das Schlimme an Ideen, daß ihnen von überallher Repräsentanten zufliegen, und alle ihnen beipflichten können, je nachdem, was ihnen fehlt oder in den Kram paßt, und verkünden, daß sie sie mit allen Mitteln verteidigen werden, mit Bajonett und Denunziation, Verfolgung und Panzer, Granatwerfer und Verleumdung, oder mit blinder Wut und Dolch, alles gilt. Vielleicht war es für mich leichter als für Pérez Nuix, den Versuch zu unternehmen, Tupra in den Rücken zu fallen. Für mich war er ein einzelner und nur das, während er für sie vielleicht bis zu einem gewissen Grad ihr Vaterland repräsentierte oder zumindest eine Idee verkörperte. Die Täuschung würde von ihr kommen, aber durch eine Mittelsperson, durch mich, und Mittelsmänner helfen unsagbar, die Schuld verschwimmen zu lassen, es ist dann, als hätte man weniger damit zu tun oder, wenn es vollbracht ist, so gut wie nichts, natürlich für andere, aber auch vor sich selbst, und deshalb bedient man sich ihrer so oft, der Strohmänner, Killer, Soldaten, Schläger, Namenleiher, gedungenen Mörder und der Polizei; und sogar der Justiz, die oft zum ausführenden Organ unserer Leidenschaften wird, wenn es uns gelingt, sie erst zu verwirren und dann zu überzeugen. Es kostet weniger Mühe, jemanden zu vernichten oder zu ruinieren, wenn man nur die Anweisung dazu gibt oder die Machenschaften in Gang setzt oder den Betrag bezahlt oder dem Richtigen einen Hinweis gibt oder das Komplott schmiedet oder wenn man denunziert und konspiriert und andere es sind, die unser Opfer in den Kerker führen, erst recht, wenn sie es hinrichten lassen, nachdem sie durch unzählige, sämtlich legale Zwischeninstanzen gegangen sind, die sich auf dem langen Weg in die Schuld teilen, bis sie uns davon nur erkaltete Überreste zurückgeben, kaum ins Gewicht fallende Brosamen, und das einzige, was wir am Ende des von uns ausgelösten Prozesses erhalten, ist ein knapper Satz, eine bloße Mitteilung, bisweilen eine stillschweigende Erklärung: ›Das Urteil ist gesprochen‹ oder ›Die Sache ist erledigt‹ oder ›Problem gelöst‹ oder ›Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen‹ oder ›Der Sturm ist vorüber‹ oder ›Du kannst ruhig schlafen‹. Oder aber ›Ich habe die Tat getan‹ oder ›Ich habe die Handlung begangen‹ (was einmal ›I have done the deed‹ war, im Mund eines alten Schotten). Es wäre in meinem Fall nicht so unheilvoll, es würde darum gehen, Patricia eines Tages anzurufen, oder nicht einmal das: ihr im Büro, wenn wir uns begegnen und dabei leicht streifen würden, zuzuflüstern: ›Er hat es geschluckt.‹ Der ursprüngliche Name des Verrats, er lautete Del Real, war gegen meinen Vater ebenfalls über Mittelspersonen vorgegangen: Zuerst rekrutierte er den zweiten Namen, jenen Professor Santa Olalla, der seine Unterschrift zur Verfügung stellte, um einer Anzeige gegen jemanden Gewicht zu verleihen, den er gar nicht kannte, und dann … Nicht sie beide waren

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