Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
täglichen Festes für ihn war. Jedenfalls hatten sie sicher ihre Gesichter gesehen, während sie miteinander schliefen, hatten sich danach unterhalten, sich etwas aus ihrem Leben und von ihren Ansichten erzählt (obwohl Tupra nur auf seine fragmentarische Weise erzählt haben mochte, das heißt, wenig), und wenn sie sich in einem Zimmer befanden, hatten sie vermutlich Gewißheit gehabt, daß geschah, was geschah, im Unterschied zu mir, der ich sie nicht hatte – oder noch weniger hatte, da gerade jetzt die Vergangenheit des Geschehens begann –, als ich mich aus der Passage zurückzog, die man niemals durchquert, und mit der gleichen Vorsicht und Behutsamkeit wie beim Tasten und Eindringen herausschlüpfte; als ich einige Zentimeter abrückte und mich zur Seite drehte und der jungen Frau zum ersten Mal den Rücken zukehrte, den sie mir fast die ganze Zeit zugewandt hatte – außer als sie mich angeschaut und mein Gesicht umfaßt hatte –, und einen Arm unter das Kissen schob, nicht mehr, um zu denken oder zu fluchen, sondern um den Schlaf herbeizurufen.
Vielleicht war das einzig Gemeinsame zwischen Tupra und mir eine vage, blasse Verwandtschaft, die den Männern gewöhnlich unbekannt ist und die die Sprachen nicht aufgreifen, wohl aber das Gefühl und gelegentlich die Eifersucht und gelegentlich die Kameradschaft; mit Ausnahme der angelsächsischen Sprache, wie ich einmal in einem Buch gelesen hatte, das nicht von einem Engländer, sondern von einem Landsmann von mir stammte und kein Essay und auch kein linguistisches Werk war, sondern Fiktion, ein Roman, dessen Erzähler sich an die Existenz eines Wortes in dieser uralten Sprache erinnerte, das die Verwandtschaft oder die Beziehung zwischen zwei oder mehr Männern bezeichnete, die mit derselben Frau geschlafen oder ihr beigewohnt haben, auch wenn es in verschiedenen Lebensabschnitten und mit den verschiedenen Gesichtern dieser Frau in ihrem Leben gewesen sein mag, ihrem Gesicht gestern oder heute oder morgen. Dieser kuriose Begriff war mir im Gedächtnis geblieben, obwohl jener Erzähler nicht sicher war, ob es sich um ein Verb handelte, dessen nicht existierendes modernes Äquivalent ›beisammen liegen‹ wäre (oder ›zusammen vögeln‹ auf grob und zeitgenössisch), oder um ein Substantiv, das folglich die ›Mitbeischläfer‹ (oder ›Mitvögler‹) oder den Vorgang als solchen (sagen wir, den ›gemeinschaftlichen Beischlaf‹) bezeichnen würde. Eine der möglichen Vokabeln, ich weiß nicht, welche, war › ge-bryd-guma ‹, ich hatte sie behalten, ohne es mir vorzunehmen oder mich zu bemühen, und bisweilen lag sie mir auf der Zunge oder kam mir in den Sinn: ›Gütiger Himmel, jetzt bin ich, jetzt hat man mich zu einem Gebrydguma von diesem Typen gemacht, wie herabwürdigend, wie furchtbar, wie billig, wie entsetzlich‹, wenn ich sah oder erfuhr, daß eine ehemalige Geliebte oder Freundin sich mit einem verächtlichen oder widerwärtigen Menschen, mit einem Dummkopf oder einem miesen Kerl zusammentat oder übertrieben flirtete, das geschieht sehr oft, oder so scheint es uns, jedenfalls besteht das Risiko immer und wir können uns nicht wehren. (Ich hatte mich für eine Aussprache entschieden, nach der man das Wort auf Spanisch › guebrídguma ‹ hätte schreiben müssen, obwohl ich natürlich keine Ahnung hatte.)
Zu Beginn meiner Bekanntschaft mit Tupra hatte ich gedacht oder gefürchtet, ich könnte diese Verwandtschaft mit ihm über Luisa erwerben, auf irgendeine irreale, phantastische Weise – oder besser gesagt, ich hatte mich gefreut, daß sie in Madrid war und sie sich nie begegnen würden und es dazu nicht kommen könnte –, als mir klar geworden war, daß ihm fast keine Frau widerstehen konnte und daß ich den kürzeren ziehen würde, wenn ich eines Tages in diesem Bereich mit ihm konkurrieren sollte, ob ich nun an erster Stelle käme oder gleichzeitig oder an zweiter. Und jetzt stellte sich heraus, daß ich sie wahrscheinlich auf einem anderen, unerwarteten, leichteren Weg erworben hatte, was mich zu dem machte, der danach kommt und nicht zu dem, der schon vorher da war oder gewesen war: Ersterer hat eine gewisse Vorteilsposition, weil er über letzteren Dinge hören und herausfinden kann, aber er ist auch derjenige, der Ansteckung riskiert, wenn eine Krankheit im Spiel ist, in Wahrheit ist sie, die Krankheit, falls es sie denn gibt, die einzige greifbare Äußerung dieser merkwürdigen schwachen Verbindung, mit der heutzutage
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