Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
geändert oder sich bewegt oder geschoben oder gestreichelt zu haben, aber die Annäherung ist so verzagt und voll Schrecken, daß man sich täuschen kann und der Vorstoß, vielleicht sogar die Berührung, für den anderen nicht wahrnehmbar ist. Und so bewegte ich mich zwischen Ja und Nein, zwischen unwiderstehlichem Begehren und einer letzten furchtsamen oder zivilisierten Gehemmtheit, und der Druck war so geringfügig, daß es vielleicht überhaupt keiner war, und da fiel es mir plötzlich ein, lächerlicherweise: ›Ein Kondom‹, dachte ich. ›Ich kann nicht wagen, es zu versuchen, ohne mir ein Kondom überzuziehen, und dazu ist ein Minimum an ausdrücklicher Zustimmung, Erlaubnis, an Einverständnis notwendig. Wenn ich jetzt aufstehe und eines hole und damit ins Bett zurückkomme, werde ich meine so nahe Position verloren haben, ich müßte von neuem mit dem Tasten beginnen, sie könnte wegrücken und vielleicht nicht mehr so zum Greifen nah sein. Und mit dem Kondom hätte ich keine Ausrede mehr, falls sie mich zurechtweist und mir jäh Einhalt gebietet, ich könnte nicht mehr sagen: ›Oh, entschuldige, das war ungewollt, ich habe schon geschlafen und nicht gemerkt, daß ich dich berührt habe. Das war keine Absicht, entschuldige, ich lege mich rüber ans andere Ende‹, denn das lächerliche Präservativ wäre der unwiderlegbare Beweis, daß es eben doch Absicht war, noch dazu eine arglistige.
Dieser Gedanke veranlaßte mich, sofort ein wenig abzurücken, genug, um den Kontakt zu verlieren, und daß ich ihn verlor, bestätigte mich in meiner unsicheren Vorstellung, daß es ihn gegeben hatte, verbunden mit dem phantomhaften Druck meinerseits, der weder gemieden noch zurückgewiesen worden war; und nach ein paar Sekunden gab ich meine Position auf (›Ein verdammtes Kondom‹, dachte ich, ›in meiner Jugend hatten wir dafür nur Verachtung übrig, ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, welche zu kaufen, aber jetzt brauchen wir sie dauernd‹), ich lag nicht mehr hinter ihr, an dem privilegierten Platz, sondern auf dem Rücken und fragte mich, was ich tun oder wie ich es anstellen oder ob ich es trotz meiner gewachsenen Hoffnungen aufgeben und versuchen sollte, einzuschlafen und nichts zu tun. Ich schob einen Arm unter das Kissen, um den Kopf besser aufstützen zu können, eine unwillkürliche grüblerische Geste, und mit derselben Bewegung deckte ich meine Brust auf, fast bis zur Taille, und deckte ihr die Schultern auf. Und das war genug – oder bot Anlaß –, daß die junge Pérez Nuix aufwachte oder tat, als wachte sie auf. Und in diesem Augenblick war ich zum ersten und einzigen Mal in dieser ganzen Nacht, die wir zusammen verbrachten, für sie nicht unsichtbar, obwohl wir im Dunkeln lagen: Sie drehte sich um und legte mir die weit geöffneten Handflächen auf die Wangen, als bekundete sie mir ihre Zuneigung, die Handflächen waren sanft; sie sah mir einige Sekunden in die Augen (eins, zwei, drei, vier; und fünf; oder sechs, sieben, acht; und neun; oder zehn, elf, zwölf; und dreizehn), lächelte mich an und lachte, während sie zart mein Gesicht umfaßte oder hielt, wie es Luisa bisweilen getan hatte, als ihr Bett noch meines war und wir noch nicht müde waren oder nicht müde genug, um uns gute Nacht zu sagen und bis zum Morgen den Rücken zuzukehren, oder wenn ich sie spät aufsuchte wie ein Gespenst, mit dem man sich verabredet hat und das man erwartet, und sie mich empfing. Nur in diesem Augenblick war ich nicht unsichtbar für Pérez Nuix, gerade als es kein Licht gab. Meine Augen waren es gewohnt, im Halbdunkel meines Schlafzimmers zu sehen, das keine Jalousien oder Fensterläden hat, wie fast alle auf der großen Insel, die mit einem offenen Auge schläft; aber nicht ihre Augen, die den Raum nicht kannten. Dennoch sah sie mich an und lächelte und lachte, es dauerte kurz. Dann drehte sie sich wieder um und kehrte mir den Rücken zu, sie nahm die gleiche Haltung ein wie vorher, als wäre dieses Anschauen im Halbdunkel nicht geschehen und als schickte sie sich an, weiterzuschlafen. Aber es war doch geschehen und war für mich das Zeichen der Zustimmung, der Erlaubnis, des Einverständnisses und brachte mich dazu, einen Moment das Bett zu verlassen und blitzschnell ein Präservativ zu holen und es mir überzustreifen und mit ungleich größerer Sicherheit und Selbstgewißheit zu meiner vorherigen Position und zur Berührung und zum Tasten und zum leichten Druck zurückzukehren, jetzt nicht mehr
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