Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
Vom Netzwerk:
und englisch, und in der Arena eine Frau, ein Pferd, ein paar professionelle Helfer aus der Pferdezucht, ein paar Risse, ich ertrug es nicht, ich schloß die Augen, ›Mach sie nicht zu!‹, also wandte ich den Blick ab, ›Sieh nicht weg!‹ Aber ich hielt ihn abgewandt, außer in einem Augenblick, das konnte ich wirklich nicht ertragen, denn außerdem traute ich meinen Augen nicht, nie hatte ich mir so etwas vorgestellt oder daß das in der Welt möglich war und zudem nur, um sich zu amüsieren, das war wirklich tödliches Gift, diese Bilder – was ich undeutlich von ihnen sehen konnte, rasch retteten mich die Augenlider, danach der weggedrehte Hals – drangen mir wie ein böses Reptil, eine Schlange oder vielleicht ein Aal oder Blutegel unter die Haut, wie soll ich sagen, sie waren im Innern, sie schlichen sich wie ein Fremdkörper ein, der mir einen sofortigen Schmerz bereitete und eine Bedrückung und Atemnot und das dringende Bedürfnis, ihn mir herausholen zu lassen (›Es möge auf deiner Seele lasten‹), aber das, was durch die Augen dringt, läßt sich unmöglich entfernen, ebenso wenig wie das, was durch die Ohren dringt, es setzt sich fest, und es gibt kein Mittel dagegen oder man muß einige Zeit warten, um sich einreden zu können, daß man nicht gesehen oder gehört hat, was man doch gesehen oder gehört hat – und immer bleibt ein Zweifel oder seine Spur –, daß es Einbildungen oder Mißverständnisse oder Trugbilder oder Verstörungen oder böswillige Interpretationen waren, keiner von uns ist dagegen gefeit, wenn unser Denken und unsere Wahrnehmung sich verformen und wir alles in einem schiefen, unheilvollen Licht sehen. ›Das ist Ciudad Juárez, im Staat Chihuahua, in Mexiko, du weißt schon‹, murmelte Tupra mit immer weiter sinkender Stimme und in einem überhaupt nicht gleichgültigen, sondern fast traurigen, tiefen Ton, es klang nicht nachgeahmt, ›und da hast du eine der tausend dort verschwundenen Frauen, von denen in der Presse soviel die Rede war. Uns kommt es bei aller Wichtigkeit, die das hat, nicht darauf an, sondern auf diesen Mann da, rechts in der zweiten Reihe, der ganz in Weiß gekleidet ist mit einer roten Krawatte.‹ Das zwang mich, einen Moment lang hinzusehen, aus dem Augenwinkel und widerwillig – wie schlecht besiegt man die Neugier auf das, was ein Finger uns zeigt –, ich sah den Mann im Publikum, ein lächelnder Dicker mittleren Alters mit glänzender Haut und dichtem Haar, aber ich konnte nicht vermeiden, auch das Irrationale und noch mehr Risse und schon etwas Blut zu sehen – etwas wie ein Schwert oder eine Lanze – und wandte abermals den Kopf, zu Reresby hin, seine Augen waren starr auf den Bildschirm gerichtet, aber jetzt stark zusammengekniffen, als bräuchte er eine Brille oder als schickte er sich an, sie im nächsten Augenblick ebenfalls zu schließen, vielleicht bewirkte diese Episode in ihm, obwohl er sie schon mehrmals gesehen hatte und wußte, wie sie ausging, starkes Unbehagen oder Beklemmung oder sogar Abscheu (›Blutbefleckt und schuldig, schuldhaft wach‹), niemand erträgt alles, und ich habe schon gesagt, daß er auch kein Sadist war. ›Damals, das ist ein paar Jahre her, war er ein sehr reicher Unternehmer, ohne es zum Magnaten gebracht zu haben. Mittlerweile ist er es, er stellt sich als Kandidat für ein wichtiges Bürgermeisteramt zur Wahl, in einer anderen Gegend, in einem anderen Staat an der Grenze zu den Vereinigten Staaten, Coahuila. Und er wird die Wahl auch gewinnen. Es wird vorteilhaft für uns sein, ihn so im Blick zu haben, wie er das Schauspiel genießt.‹ Er sprach diesen Namen falsch aus, auf englische Weise – er war nicht so bekannt wie Chihuahua –, er sagte ungefähr ›Kouchuaila‹. Das Schlimmste war, daß diese Arena nicht außergewöhnlich wirkte, sie sah nicht danach aus, als wäre alles nur für eine einzige Gelegenheit inszeniert, die Musikkapelle, die Markisen, das Tier und seine erfahrenen Führer, die Einladung, sicher über Internet und verschlüsselt oder über Mitteilungen auf dem Handy, sicher mit leiser Stimme. Was ich flüchtig sah, geschah wahrscheinlich öfter, vielleicht mit leichten Varianten, womöglich ein anderes Tier, ich wollte der Sache nicht weiter nachgehen und riß mir jede Vorstellung an der Wurzel aus.
    »Es heißt Coahuila«, ich behalf mir, indem ich ihn korrigierte, oder es war mir unmöglich, es nicht zu tun, noch mehr Mysterien der Ordnung und der impertinenten Genauigkeit um

Weitere Kostenlose Bücher