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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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daß er sich von dir abwendet und sich nichts dazu entlocken läßt. Mal sehen, ob wir es bestätigen, ob wir uns eine deutlichere Vorstellung davon machen können, wie weit er imstande wäre oder ist, den Blick anderer auf seine Biographie zu gefährden, in welchem Ausmaß er es riskieren würde, sich deinem erzählerischen Horror auszusetzen und letztlich die Reihen der Bruderschaft Kennedy-Mansfield zu verstärken, aus denen man nicht mehr desertieren kann.‹ So redete Tupra oft, besonders, wenn er uns Anweisungen oder Empfehlungen gab, mit einer Mischung aus umgangssprachlichen Wendungen und ungebräuchlichen oder nur für ihn typischen Ausdrücken, als würden in dieser Sprechweise seine wahrscheinliche Vorstadtherkunft und seine unzweifelhafte Oxfordbildung verschmelzen, es kostete mich Mühe, mich daran zu erinnern, daß er Mediävist war und Umgang mit Toby Rylands gepflegt hatte, oder vielleicht verschwamm mir allmählich die Gestalt des letzteren, eingegangen in die seines Bruders Peter, gewisse Lebende verkörpern oder beinhalten oder überlagern die Toten, die ihnen nahe waren, und löschen sie sogar aus.
    Worum Tupra mich bat, erschien mir als ein unmögliches Unterfangen: daß Dick Dearlove in dieser Weise und von diesen Dingen mit mir sprechen sollte, noch dazu in Gegenwart anderer Menschen, bei einem Abendessen mit zwanzig oder mehr Gästen, die allesamt mit seiner Vergötterung beschäftigt waren. Dennoch versuchte ich es; Tupra verlangte keine Ergebnisse von mir. Er verschaffte mir einen Platz praktisch gegenüber von dem Idol, und obwohl die Personen, die neben ihm saßen, durch Schmeicheleien sein Interesse auf sich zu lenken suchten, gelangen mir einige Einwürfe in das Gespräch, die seine Neugier weckten, eher weil sie spezifisch spanisch waren als wegen meiner Brillanz.
    »Wie kommt es, daß man in Spanien in sexueller Hinsicht so permissiv ist?« fragte er mich nach einem kurzen Austausch über Sitten und Gesetze. »Lange Zeit hatten wir in England den gegenteiligen Eindruck.«
    »Dieser Eindruck war richtig«, antwortete ich. Und just um zu sehen, ob ich ihm etwas entlocken konnte, verschwieg ich ihm, daß der jetzige es ebenfalls war, und fügte vielmehr hinzu: »Warum, glauben Sie, daß wir jetzt so permissiv sind, Mr. Dearlove?«
    »Nenn mich doch Dick«, sagte er sofort. »Alle nennen mich so, und das ist nicht nur klug, sondern auch treffend.« Und er ließ ein abgenutztes Lachen vom Stapel, in das seine Tischnachbarn einfielen. Ich nahm an, daß er diesen Scherz im Lauf seines verhätschelten Lebens wohl schon tausendmal gemacht hatte (aber es gibt immer jemanden, der ihn nicht gehört hat, er war ein Mann, der sich dessen bewußt war, daß nichts sich jemals vollkommen erschöpft, sosehr man es auch auspreßt), indem er vulgär mit einer der Bedeutungen des Wortes ›dick‹ spielte, die keine andere als ›Schwanz‹ ist. Schließlich und endlich war er berühmt für seine Hypersexualität oder Pansexualität oder Heptasexualität oder was auch immer, obwohl er es in der Öffentlichkeit nicht zugab, ich meine, vor der Presse. »Na, ich weiß ja nicht, was du in deinem Land für ein Leben führst, Pech für dich«, fügte er gönnerhaft hinzu, »aber wenn ich dort eine Tournee gemacht habe, hat es mir jedes Mal an Kraft und Zeit gefehlt, um die ungewöhnliche Nachfrage zu befriedigen. Jeder scheint darauf aus zu sein, daß man ihm einen reinsteckt, Frauen, Männer und selbst die ganz Jungen.« Und er lachte erneut, mit einem weniger abgestandenen Lachen. »Vielleicht mit Ausnahme des Baskenlandes, wo sie keinen Sex zu kennen oder ihn nur nachzuahmen scheinen, weil sie anderswo davon gehört haben, mußte ich im übrigen Spanien vor lauter Angebot nach den Konzerten und auch davor richtige castings machen, um meine Bett- oder meine Badezimmergenossen auszuwählen, wenn die Sache schnell gehen sollte: In den Hotellobbys bildeten sich Schlangen von Menschen, die eine Weile hoch in mein Zimmer kommen wollten, und fast immer hat es sich gelohnt, die Ruhepause zu unterbrechen. Sehr viel feuriger als hier und sehr viel einfacher; in Großbritannien ist die Keuschheit verbreiteter, so unglaublich das klingen mag, ganz zu schweigen von Irland, da sind sie zimperlich wie die Basken.«
    Plötzlich ärgerte es mich, daß er so abfällig von meinen Landsleuten sprach, als wären es sexbesessene Horden. Mich ärgerte der Gedanke, daß dieser berühmte Scharlatan sich ohne Verdienst und ohne Mühe

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