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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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junge Mädchen und junge Männer ins Bett holte, in Barcelona, Gijón, Madrid oder Sevilla, egal wo, wann immer er spanischen Boden betrat, und er hatte im Lauf der Jahre dort eine ganze Reihe von Konzerten gegeben. Es freute mich sogar zu erfahren, daß man es ihm in San Sebastián und Bilbao schwerer gemacht hatte, immerhin etwas; und als ich dieser kindischen und idiotischen Reaktion bei mir gewahr wurde, begriff ich, daß wir uns nie vollkommen vom Patriotismus freimachen, alles hängt von den Umständen ab und davon, wo wir uns befinden und wer mit uns spricht, damit plötzlich eine Spur, ein Rest in uns aufsteigt. Ich darf schreckliche Dinge über mein Land denken und sagen, das ich heute für von Grund auf verkommen und in vielerlei Hinsicht für stumpfsinnig halte; doch wenn ich sie aus dem Mund eines verächtlichen, eitlen Ausländers höre, spüre ich einen sonderbaren, wenn nicht unerklärlichen Stich, wie ihn ähnlich De la Garza empfunden haben dürfte, simpel gestrickt, wie er war, als er sah, daß ich ihn nicht gegen den schwertbewehrten Engländer verteidigte, der ihn enthaupten wollte, und er vielleicht daran dachte, das Ganze später vor dem Obersten Richter zu denunzieren, ›wenn alle die Beine und Arme und Köpfe, die in einer Schlacht abgehauen sind, sich am Jüngsten Tag zusammenfügen und schreien: »Wir starben da und da.«‹, nach Ablauf der unzählbaren Jahrhunderte: ›Mich tötete dieser Mann mit einem Schwert und machte zwei Teile aus mir, und dieser andere war dabei, sah es und rührte keinen Finger; und der dabei war und nichts tat, sprach meine Sprache, und beide stammten wir aus demselben Land, weiter im Süden, nicht so weit entfernt, auch wenn ein Meer dazwischen lag: Und der andere guckte blöd aus der Wäsche, ein Typ aus Madrid, scheiß drauf, einer aus demselben Stall und hat nicht mal versucht, ihm in den Arm zu fallen.‹ Man sieht es in der Tat als erschwerenden Umstand, aus demselben Land zu stammen, und so empfand ich es immer, wenn mein Vater mir die schrecklichen Geschichten aus unserem Krieg erzählte: Sie stammten aus demselben Land, die Milizionärin und das Kind, das diese in der Calle Alcalá Ecke Velázquez in einem vierten Stock an die Wand klatschte, und Emilio Marés und die Männer, die ihn in Ronda wie einen Stier hetzten, und mehr noch der aus Málaga mit der roten Baskenmütze, der ihn tötete, er gab ihm den Todesstoß, und dann ließ er es sich nicht nehmen, ihn zu kastrieren. Der Verräter Del Real und mein Vater waren Landsleute, und auch der andere, Santa Olalla, der Universitätsprofessor, der Mächtigste der Denunzianten, und sogar der wenig erfolgreiche Romancier Darío Flórez, der als Zeuge der Anklage auftrat und über meine Mutter, als sie noch nicht meine oder sonst jemandes Mutter war, dem Verratenen jene unheilverkündende Warnung zukommen ließ: ›Wenn Deza sich nicht daran erinnert, daß er eine berufliche Laufbahn hat, kann er leben; andernfalls werden wir ihn zugrunde richten.‹ Für mich waren diese immer die Namen des Verrats gewesen, und die darf man niemals beschützen, und sie waren es, weil sie alle aus demselben Land stammten, mein Vater und sie, und in zwei Fällen der zuvor gegebenen Freundschaft wegen, ohne daß er ihnen jemals Anlaß geboten hätte, sie aufzukündigen oder aufzulösen, ganz im Gegenteil.
    Ich verscheuchte meinen absurd patriotischen Verdruß. Das mußte ich nicht nur tun, wenn ich mit Tupras Auftrag fortfahren wollte (es war sehr viel einfacher gewesen als erwartet, das Thema anzusprechen; ich sah etwas entfernt die grauen Augen meines Chefs, am Kopfende des Tischs, die mich eingehend beobachteten und sich fragten, wie es mir erging), sondern weil es außerdem überhaupt keinen Sinn hatte, ihn zu empfinden. Ein Landsmann von mir, De la Garza, um ein naheliegendes Beispiel zu nennen, hätte ähnliche Äußerungen von sich geben können wie Dearlove, wenn er ein angebeteter Sänger gewesen wäre und während seiner Tourneen unter Dutzenden von Mädchen hätte wählen können, und seine Reden wären mir wegen ihres Dünkels und ihrer Verachtung ebenfalls übel aufgestoßen. Und dennoch, dennoch … es gab da etwas, das zusätzlich an mir nagte, es war unmöglich, das vor mir zu verleugnen, etwas Irrationales, Beunruhigendes, Unangenehmes, Atavistisches. Vielleicht empfand Tupra das gleiche, wenn man in seiner Gegenwart und mit kontinentalen oder transozeanischen Lippen oder denen des grünen Erin, wo das fast

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