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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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wagte nicht, weiter in ihn zu dringen.
    Dennoch konnte ich es nicht lassen, einen privaten Scherz zu machen, wie man in seiner Sprache sagt:
    »Jedenfalls wäre es angemessener, wenn das Uhrmachergeschäft Tupra die Admiralität beliefern würde und nicht das andere in der Nähe, das ich gesehen habe und das hier dafür zuständig ist. Wäre es auch nur wegen deiner Beziehungen, wegen unserer Beziehungen mit dem alten OIC , meinst du nicht?« Ich erinnerte mich an Wheelers Worte an jenem Sonntag vor dem Mittagessen in Oxford, als er mir von den Schwierigkeiten berichtete, gleich nach Konstituierung der Gruppe die ersten Mitglieder zu rekrutieren: ›Man mußte im Eiltempo das ganze Königreich durchkämmen. Die meisten stammten aus den Geheimdiensten selbst, aus der Armee, einige aus dem alten OIC , das hast du nie gehört, dem Operational Intelligence Centre der Marine, es waren wenige, aber sehr gute, vielleicht die besten; und natürlich aus unseren Universitäten.‹ Und ich sah bei Tupra einen Ausdruck von Verwunderung und vagem Mißtrauen (als fragte er sich, was ich noch wußte und ob er mich in meinen Lernfortschritten unterschätzt hatte), als er aus meinem Mund diese veraltete Abkürzung vernahm, die ein Spanier des 21 . und selbst der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts nur selten kannte.
    Er ließ mir auch in den zwei Tagen in Edinburgh freie Zeit, dort ging ich erneut spazieren und las noch einmal die beiden besten Söhne der Stadt, Conan Doyle und Stevenson, ein paar Erzählungen, und stieg hinauf nach Calton Hill, um den Ausblick zu sehen, der letzteren am meisten begeistert hatte und der trotz der inzwischen vergangenen Zeit noch immer betörend war. Von ihm nahm ich mir auch ein paar Gedichte und einen kleinen Band über die Stadt mit, Picturesque Notes lautete der Untertitel, immerhin aus dem Jahr 1879 . Darin sprach er von Greyfriars und erzählte, wie in der Nähe dieses gartenähnlichen Friedhofs vom Fenster eines schon damals demolierten Hauses, dessen Standort er von einem Totengräber kannte, der Leichendieb Burke auf der Lauer gelegen hatte, der die Kadaver mit seinem Komplizen Hare noch frisch aus ihren Gräbern holte, um sie an Wissenschaftler und Anatomen zu verkaufen, und am Ende selbst Leute umbrachte, um den Prozeß zu beschleunigen und damit das Geschäft nicht zum Erliegen kam: ›Burke, der Mann der Wiederauferstehungen‹, schrieb Stevenson voll Ironie, ›nichtswürdig durch seine zahlreichen Morde für fünf Schilling pro Kopf, setzte sich dann gerne mit Pfeife und Schlafmütze hin, um die Leichenzüge auf ihrem Weg zum Gras vorbeiziehen zu sehen.‹ Das war einer, dachte ich, der keine Geduld hatte, um die Gesichter morgen vor sich erscheinen zu lassen, er zog es vor, sie mit der Pfeife im Mund so defilieren zu sehen, wie sie gestern und für immer waren.
    Und auf der Zugfahrt nach Edinburgh, als wir allein waren, las ich Tupra mit lauter Stimme einige Verse vor, die Stevenson gegen Ende seines Lebens in der Südsee, in Apemama, mit wahrer und sonderbarer Sehnsucht nach ›unserer düsteren Stadt‹ geschrieben hatte: ›Der stoßweise Wind des Winters, der Regen wie ein Wurfgeschoß, die seltene und willkommene Stille des Schnees, der späte Morgen, der traurige Tag, die Nacht, der schäbige Zauber der nächtlichen Stadt, erinnert ihr euch? Ach, könnte man doch vergessen‹, schrieb er und vermißte aufrichtig jene so trostlose Szenerie. Und weiter unten fügte er hinzu: ›Wenn das Licht meiner sterbenden Augen nachläßt und erlischt und die Stimme der Liebe bedeutungslos an meine Ohren dringt, die sich allmählich verschließen, welcher Laut wird dann kommen, wenn nicht der alte Schrei des Windes unserer rauhen Stadt? Was wird wiederkehren, wenn nicht das Bild der Leere der Jugend, erfüllt vom Lärm der Schritte und jener unzufriedenen und berauschten und verzweifelten Stimme?‹ Und noch in einem anderen Gedicht bewahrte er den gleichen Geist, voll Verachtung für die fernen, warmen Meere, die er so eifrig gesucht hatte, und voll schrecklicher Sehnsucht nach ›unserem stürmischen Klima‹ in Edinburgh: ›Ein Meer, das sich nicht auf den Landkarten befindet, umgibt und umgrenzt vergeblich eine Insel ohne Lichter, den verlorenen Sohn. Die Stimme toter Generationen ruft mich, der ich in der Ferne sitze, mich zu erheben, rasch umzukehren auf meinem langen Weg und am Ende allen Wandels mich auszustrecken in jener namhaften Stadt der Toten.‹ Ich las ihm also diese Verse

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