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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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auflockerte – er wollte teilnehmen, er fand sich nicht damit ab, sein einziger Zuhörer zu sein –, in rapider Weise seine (sogenannten) geistigen Fähigkeiten und machten die Art seiner Äußerungen vollends niveaulos.
    Während ich kurz mit Beryl sprach, zum Beispiel, noch ziemlich am Anfang (ihre Sätze sehr lustlos und höflich, ich erschien ihr wohl nicht wohlhabend), trieb er sich pausenlos in unserer Nähe herum und ließ unpassende Bemerkungen über sie vom Stapel, die zum Glück niemand außer mir verstand (»Wahnsinn, Wahnsinn, hast du gesehen, was für lange Beine die Tussi hat? Man bekommt förmlich Lust, auf ihnen Schlitten zu fahren. Wie siehst du das, was glaubst du? Meinst du, wir können sie diesem Zigeuner ausspannen, mit dem sie gekommen ist? Sie kümmert sich einen Scheißdreck um ihn, aber der Typ läßt kein Auge von ihr, womöglich gehört er zu denen, die dir ein Messer zwischen die Rippen rammen, auch wenn er noch so britisch ist.«) Und als ich mit einem irischen Historiker namens Fahy, dessen Frau und dem Labour-Bürgermeister irgendeiner elenden Ortschaft in Oxfordshire ein einschläferndes Gespräch über Terrorismus führte, versuchte der Attaché, als er von meinen Lippen deutlich einige baskische Ortsnamen vernahm, seinen folkloristischen Senf dazuzugeben. (»He, sag denen, daß San Sebastián eine Stadt ist, die wir Madrider gemacht haben, verdammt, daß wir dort unsere Sommerferien verbracht und sie den Einheimischen in Geschenkpapier verpackt haben, sonst wär sie nie so schön geworden; sag’s ihnen, los, wer weiß wie lange auf der Universität, diese Typen, und dann haben sie nicht die geringste Scheißahnung.« Da hatte er schon Sherry mit Whisky und drei Sorten Wein vermischt.) Mehr noch als die Freundin Beryl gefiel ihm die verschwenderisch ausgestattete Witwe des Dekans von York, denn während ich ein paar Minuten mit ihr plauderte, wiederholte De la Garza: »Wahnsinn, Wahnsinn, diese Tussi ist bombig, verdammt, die hat was auf den Knochen«, offensichtlich ohne Sprachvermögen, um das Ganze zu gliedern, im Detail zu analysieren, Nuancen oder sonst etwas hinzuzufügen (jetzt hatte er bereits den Portwein addiert). Seine Erregung war so kindisch wie das Wort »bombig«, das eher zu jemandem paßte, der im Leben wenige Frauen abgeschleppt hatte, als zu einem natürlichen, versierten Lüstling. Ich dachte, daß De la Garza noch viele Nächte bevorstanden, in denen er Frauen erliegen würde, die seine Gier und der Alkohol ihm begehrenswert erscheinen lassen würden, um sich am nächsten Morgen an den Kopf zu fassen, wenn er entdecken müßte, daß er mit exzessiven Verwandten von Oliver Hardy oder mit windigen Nachahmerinnen von Bela Lugosi ins Bett gestiegen war. Das traf nicht auf die verwitwete Dekanin zu mit ihrem leicht geröteten, sanften Gesicht und ihrem ausladenden Brustkorb, der noch betont wurde durch eine riesige Halskette aus, wie mir schien, ceylonesischen Hyazinthen oder Zirkonen, die Orangenschnitze nachbildeten, aber sie hätte die (wenn auch junge) Mutter ihres unerfahrenen, großmäuligen Bewunderers sein können.
    Tupra, mit seinem Kaffee in der Hand, hatte mich gefragt, welches mein Gebiet sei, wobei er sich wörtlich an die in Oxford herrschende Norm hielt, derzufolge es als selbstverständlich gilt, daß in dieser Stadt jeder ein spezifisches Unterrichts- oder Forschungsgebiet hat oder mit einem solchen angibt.
    »Ich bin nie sehr konstant in meinen beruflichen Interessen gewesen«, antwortete ich, »und an der Universität bin ich nur mit Unterbrechungen, fast durch Zufall, gewesen. Vor vielen Jahren habe ich hier zwei Studienjahre lang unterrichtet, zeitgenössische spanische Literatur und Übersetzung, aus dieser Zeit kenne ich Sir Peter, obwohl ich damals wenig Umgang mit ihm hatte und sehr viel mehr mit Professor Toby Rylands, bei dem Sie studiert haben, wie ich gehört habe.« Ich hätte es dabei belassen können, es reichte als erste Antwort, ich hatte ihm sogar eine Brücke gebaut, damit er das Gespräch mühelos fortsetzen konnte, indem ich Toby erwähnt hatte, den er ohne weiteres hätte heraufbeschwören können, ich wäre ihm mit großer Freude dabei gefolgt. Doch Tupra ließ eine Sekunde oder zwei verstreichen, sehr wenig, ohne erneut das Wort zu ergreifen, wahrscheinlich hätte er es in der dritten oder vierten oder fünften getan (eins, zwei, drei, vier; und fünf), aber das war nicht sicher, er war einer dieser seltenen Männer, die

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