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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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lieber, als habe es sie nie gegeben und somit auch niemand sie sehen können; vielleicht bat sie ihn – ohne es zu sagen – deshalb um Verzeihung. Und so wußte Comendador niemals mit Gewißheit, woher sie kamen noch worauf sie zurückzuführen waren, er ließ vor sich selbst die Erklärung einer unerwarteten oder aus begreiflicher Nachlässigkeit nicht rechtzeitig eingedämmten Menstruation gelten, und nach einigen Tagen begann er sogar daran zu zweifeln, ob er sie gesehen hatte, diese Flecken, das passiert uns bisweilen mit dem, was man leugnet oder verschweigt, mit dem, was man für sich behält und begräbt, es verschwimmt unausweichlich, und am Ende glauben wir nicht, daß es wirklich existiert oder stattgefunden hat, wir neigen dazu, unseren Wahrnehmungen, wenn sie bereits vergangen sind und von niemandem von außen her bestätigt oder bekräftigt werden, in unglaublicher Weise zu mißtrauen, wir verleugnen bisweilen unsere eigene Erinnerung und erzählen uns am Ende ungenaue Versionen dessen, was wir erlebt haben, wir trauen uns nicht einmal als Zeugen unserer selbst, wir unterwerfen alles der Übersetzung, unsere deutlichen Handlungen, und sie ist nicht immer treu, so daß die Handlungen undeutlich werden, und am Ende ergeben und widmen wir uns der ständigen Interpretation selbst in bezug auf das, was für uns feststeht und wir ganz genau wissen, und so lassen wir es in einem unbeständigen, ungenauen Schwebezustand, und nichts ist jemals fest oder jemals definitiv, und alles tanzt bis zum Ende aller Tage, vielleicht ertragen wir ja die Gewißheiten kaum, nicht einmal die, die uns genehm sind und uns stärken, ganz zu schweigen von denen, die uns unangenehm sind oder uns in Frage stellen oder uns schmerzen, niemand will das werden, sein eigener Schmerz und seine Lanze und sein Fieber. »Vielleicht bin ich erschrocken, als ich die Wunde an der Stirn des Mädchens sah, der Aufprall klang schlimm und war sehr spektakulär, und weil ich ein wenig Blut hervortreten sah, glaubte ich, es wer weiß wo, zum Beispiel in einem dunklen Fleck im Holz, zu sehen, es war nicht sehr hell in diesem Flur«, hatte Comendador gesagt, als er mir die Geschichte einige Tage später erzählte. »Und der im Bett, und die Tropfen?« fragte ich ihn. »Ich weiß nicht, das konnte alles mögliche sein, vielleicht stammten sie von Wein oder sogar von Cognac, womöglich hatte sie auf dem Flur und im Bett aus der Flasche getrunken und alles vergossen und es nicht einmal gemerkt in ihrem Zustand, weggetreten wie sie war oder im Glauben zu sterben, wie sie geglaubt haben mußte, bevor sie sich aufraffte und aufstand, um mir die Tür zu öffnen.« »Willst du damit sagen, daß du überzeugt bist, dieses Blut an mehreren Orten gesehen zu haben, und es gleichzeitig für möglich hältst, es nicht gesehen zu haben oder daß es überhaupt nicht vorhanden war, daß es nur eine Einbildung von dir war oder deine eigene Furcht, es zu sehen?« »Ja, das nehme ich an, ich nehme an, daß das möglich ist«, antwortete Comendador verblüfft.
    Ich war jetzt dabei, den Fleck zu Hause bei Wheeler mit getränkter Watte zu entfernen, das Blut war nicht sehr frisch, aber es war auch nicht ganz trocken oder getrocknet, und das gut lackierte, gewachste, polierte Holz erlaubte, es zu säubern oder abzuwischen, wenn auch wider Erwarten nicht, ohne Kraft aufzuwenden und wiederholte hartnäckige Versuche zu machen und Alkohol und Wattebäusche zu verbrauchen, ich legte sie beiseite, in Peters Aschenbecher – die blutgetränkten –, und zugleich ging ich vorsichtig zu Werke, um die Holzdiele nicht zu beschädigen oder ein Zeichen durch ein anderes zu ersetzen, bei Alkohol weiß man nie. Was beim Entfernen solcher Flecken oder selbst winziger Tropfen die größte Mühe macht, ist ihr Rand, ihr Kreis, der Umkreis, ich weiß nicht, warum sich das sehr viel mehr als der Rest auf dem Boden festsetzt oder auf der Keramik des Waschbeckens oder des Badezimmers, wohin die Tropfen fallen oder wo die Flecken entstehen, und außerdem passiert das sofort, selbst, wenn das Blut ganz frisch, gerade erst vergossen ist, es wird ohne jeden Zweifel ein physikalisches Gesetz geben, aber mir ist es unbekannt. ›Vielleicht‹, dachte ich, ›vielleicht ist es eine Form, sich an die Gegenwart zu klammern, ein Widerstand gegen das Verschwinden, den auch die Dinge und das Unbelebte entwickeln, nicht nur die Menschen, vielleicht ist es der Versuch aller Dinge, ihre Spur zu

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