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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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und zu lindern, soweit es in ihren Kräften stand. Zuvor, 1936, als die militärische Erhebung am 18. Juli und die mit ihr einhergehende »Revolution« die folgenden Tage und Wochen in ein absolutes Chaos verwandelten, das von beiden Lagern (ein jedes in seinem Territorium) dazu genutzt wurde, um rasche, irreversible Rechnungen zu begleichen und gefahrlos und ohne jede Kontrolle zu töten, hatte sie als die älteste von acht Geschwistern im Alter zwischen Jugend und Kindheit den siebzehn- oder achtzehnjährigen Bruder suchen müssen, der eines Abends nicht nach Hause zurückgekehrt war. Und in jenen ersten Monaten nach Ausbruch des Krieges war der Gedanke, der den Familien durch den Kopf ging, wenn so etwas geschah – als allererster, es herrschten Angst und Schrecken –, daß der Abwesende willkürlich von patrouillierenden Milizionären festgenommen, in ein Verhörzentrum gebracht und dann in der Abenddämmerung oder in der Nacht ohne weiteres Verfahren irgendwo an einer Straße oder einem Weg außerhalb der Stadt exekutiert worden sein konnte. In den Morgenstunden machten die Helfer des Roten Kreuzes ihre Runde, um die Leichen in den Straßengräben und Außenvierteln einzusammeln, sie zu fotografieren, sie zu begraben und, wenn möglich, zuvor zu identifizieren, um auf einer Karteikarte das Ende ihres Lebens und ihren Tod zu archivieren. Das gleiche geschah in beiden Zonen, in unheilvoller, wahnwitziger Symmetrie. In Madrid übernahmen das ab einem bestimmten Augenblick die sogenannten Volksgerichte, doch obwohl Justizbeamte an ihnen beteiligt waren (den »politischen Kommissaren« der Parteien unterstellt, ohne Unabhängigkeit), glichen die umstandslosen Schnellstverfahren weiterhin allzusehr denen vor ihrer Einrichtung, die sich als eher nutzlos erwies, um soviel blinde Raserei einzudämmen oder in Bahnen zu lenken.
    Und so war meine Mutter auf die Straße gestürzt, um Polizeireviere und Verhörzentren auf der Suche nach dem verlorenen jüngeren Bruder abzuklappern, mit der widersprüchlichen Hoffnung, keine Spur von ihm zu finden: nicht an diesen verhängnisvollen Orten, die gleichwohl immer als erste aufgesucht werden mußten nach dem Verschwinden. Sie hatte kein Glück und fand ihn, oder vielmehr sein noch frisches Foto als Toter, als junger Toter, als toter Bruder. Wer weiß, warum sie ihn festgenommen und zum Verhörzentrum der Calle Fomento gebracht hatten mitsamt einer Freundin, die ihn begleitete und das vorzeitige, rasche schwarze Los mit ihm teilte. Vielleicht, weil er sich am Morgen eine absurde Krawatte umgebunden hatte und beide nicht revolutionär genug aussahen (die berühmten blauen Monteuranzüge, die – wie ich bei Thomas gelesen, von meinen Eltern gehört und auf tausend Fotos gesehen hatte – zur fast obligaten zivilen Uniform jedes grimmigen, bewaffneten Madriders geworden waren) oder weil sie nicht mit der erhobenen Faust gegrüßt hatten oder weil ein unvorsichtiges kleines Kreuz oder Medaillon am Hals des Mädchens hing, Fahrlässigkeiten dieser Art waren Grund genug für einen Schuß in die Schläfe oder eine Ladung in die Brust in jenen Tagen akuten Mißtrauens, Vorwände für den überflüssigen Mord, so wie auf der anderen Seite der Umstand, den Arm nicht in faschistischer oder Nazimanier zu heben oder einen bewußt proletarischen Anblick zu bieten oder Leser republikanischer Publikationen gewesen zu sein oder im Ruf zu stehen, die zahllosen Kirchen der Halbinsel, des vaterländischen Bodens, links liegen zu lassen.
    Ich hatte nie geglaubt, daß dieses bürokratische, kleinformatige Foto, von dem ich gehört hatte, wirklich existierte. Ich meine, daß es irgendwo erhalten war oder aufbewahrt wurde oder meine Mutter Elena es besaß, die es aufgespürt hatte, daß sie es im Verhörzentrum von den politischen Kommissaren des Jahres 39 erbeten haben konnte und diese es ihr gegeben hatten, wo sie doch erst zweiundzwanzig Jahre alt war, die älteste von acht Geschwistern, aber ebenfalls noch sehr jung. Und als ich es zufällig entdeckte, lange Zeit nach ihrem Tod, eingewickelt in ein seltsames Stückchen Atlasstoff mit zwei breiten roten Streifen und einem schwarzen dazwischen, der Atlas in einer kleinen Blechschachtel mit dem Aufdruck ›Mandeln aus Alcalá de Henares‹, zusammen mit einem anderen, nicht eingewickelten Foto des noch lebenden Bruders und dem Ausweis der Dekanatsbibliothek der Philologischen Fakultät und verschiedenen Papieren aus den dreißiger Jahren, die

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