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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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kennenlernte. Zweimal brauchte ich kaum zu intervenieren, denn die beiden Chilenen und drei Mexikaner, mit denen Tupra und sein Untergebener Mulryan jeweils ein rasches Mittagessen teilten – alle fünf Männer mit langweiligen irgendwie diplomatischen, irgendwie legislativen und parlamentarischen Geschäften befaßt –, sprachen ein recht annehmbares Gebrauchsenglisch, und meine Anwesenheit im Restaurant war nur erforderlich, um bei irgendeiner lexikalischen Unsicherheit weiterzuhelfen, damit die finalen Bedingungen der Vorvereinbarungen, zu denen sie anscheinend gelangten, für beide Seiten klar waren und kein Anlaß für spätere gewollte oder ungewollte Mißverständnisse bestand. In Wirklichkeit wurde ich nur benötigt, um die Zusammenfassung zu machen. Ich bekam nicht sehr viel mit von dem, was sie verhandelten, wie es mir in jeder Sprache ergeht, wenn ich mich nicht für das zu interessieren vermag, was meine Ohren hören. Ich meine, ich verstand natürlich die Wörter und auch die Sätze und konnte sie ohne jedes Problem verwandeln und reproduzieren und vermitteln, aber ich begriff nichts von den Angelegenheiten oder ihren jeweiligen Hintergründen, sie waren mir gleichgültig.
    Das dritte Mal war merkwürdiger und unterhaltsamer, und ich verdiente mir auch eher meine Bezahlung, denn ich wurde in Tupras Büro gebeten, und dort mußte ich übersetzen, was mir in jeder Hinsicht wie ein Verhör vorkam. Nicht das eines Verhafteten oder eines Gefangenen, nicht einmal das eines Verdächtigen, wohl aber vielleicht – gewissermaßen – das eines Spitzels oder eines Überläufers oder eines Zuträgers, dem Tupra und Mulryan noch nicht gänzlich trauten, beide stellten die Fragen (aber mehr Mulryan, Tupra hielt sich zurück), die ich auf spanisch dem hochgewachsenen, kräftigen Venezolaner mittleren Alters wiederholte, der zivile Kleidung trug und sich leicht unwohl fühlte darin oder sagen wir unruhig, gezwungen, als wäre sie geliehen und provisorisch oder eben erst erworben, als fühlte er sich unsicher und vielleicht wie ein Hochstapler ohne die mehr als wahrscheinliche Uniform, an die er gewohnt sein mußte. Angesichts seines starren Schnurrbarts und seines breiten, gebräunten Gesichts, seiner behenden Augenbrauen, getrennt nur durch zwei winzige kupferfarbene Pinselstriche zu beiden Seiten eines Zwischenraums, der so schmal war wie eine Fliege, die sich vom Kinn auf die Stirn verirrt hatte, angesichts seines stark gewölbten Brustkorbs, der wie dafür geschaffen war, Medaillen zu tragen und zur Schau zu stellen, aber zu ausladend, um nur ein weißes Hemd, eine dunkle Krawatte und ein helles, zweireihiges Jackett zu ertragen (ein seltsamer Anblick in London, es schien platzen zu wollen, die drei Knöpfe zugeknöpft als Reminiszenz an die Uniformjacke), kostete es mich keine Mühe, ihn mir mit der Tellermütze eines südamerikanischen Militärs vorzustellen, mehr noch, sein Haar aus dicken schwarzen und weißen Stacheln, das ihm zu tief aus der Stirn wuchs, schrie geradezu nach einem Schirm aus gutem Lack, der alle Aufmerksamkeit auf sich konzentrieren und seinen ausgreifenden Haaransatz verbergen oder bemänteln würde.
    Die Fragen Mulryans und die eine oder andere von Tupra waren höflich, aber sehr rasch und kamen sehr genau zur Sache (auf die Sache schienen beide immer abzuzielen, auch in ihren Gesprächen mit den chilenischen und mexikanischen Juristen oder Senatoren oder Diplomaten, sie waren nicht bereit, mehr Zeit als eben nötig zu verwenden, sie wirkten geschickt bei den Verhandlungen, trainiert, es machte ihnen nichts aus, etwas abrupt zu sein), und ich sah, daß sie von mir das gleiche bei meinen Übersetzungen erwarteten, daß ich also nicht nur die Worte, sondern auch die Dringlichkeit und den eher schneidenden Tonfall genau wiedergab, und als ich zweimal zögerte, weil meiner Sprache das absolute Fehlen von Einleitungen und Umschweifen nicht immer gut bekommt, machte Mulryan mir beide Male ein diskretes, aber unmißverständliches Zeichen mit zwei ausgestreckten Fingern und wies mich darauf hin, daß ich mich beeilen und nicht an selbsterdachte Formulierungen denken sollte. Dieser venezolanische Militär konnte kein Englisch, aber er hörte sowohl auf die Stimmen der Briten, während sie ihn fragten, als auch auf meine, wenn ich ihm zum Verständnis ihrer Fragen verhalf, obwohl er unvermeidlich mich anschaute, sich an mich wandte, der ich nur der Übermittler war, wenn er seine Antworten

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