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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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verfällt und zugleich begreift, daß etwas nicht ganz stimmt und das Verhängnis nicht so sicher ist, denn der Traum dauert fort ohne Unterbrechung oder Leere oder Lösung, und der Schlag, der schon vor einer Weile seinen Fall begonnen hat, fällt einfach nicht nieder: it delays and lingers and dallies and loiters , der Schlag, der Hieb, der Traum, er zögert und wartet, und alles ist Blei auf meiner Seele, er erstarrt und gewinnt Zeit, während das Bewußtsein darum kämpft, aufzuwachen und uns zu retten, die böse Vision zu vertreiben oder zu zerbrechen und das unterdrückte Weinen zu verjagen oder zu untergraben, das sich danach sehnt, aufzusteigen, und es nicht vermag.
    Ich sah an ihm den Ausdruck eines Toten, von jemandem, der sich tot glaubt und sich tot weiß; da er jedoch noch lebendig war, war es ein Bild von grenzenloser Angst und Abwehr, letzteres nur geistig, vielleicht ein Wunsch; von kindlichem, unverhohlenem Schrecken, sicher war sein Mund augenblicklich ausgetrocknet, wie auch sein Gesicht erbleicht war, als hätte man ihm einen raschen Pinselstrich mit schmutzig-weißer oder aschgrauer oder kranker Farbe verpaßt oder ihn mit Mehl oder vielleicht Puder bestäubt, ähnlich wie die schnellen Wolken, wenn sie die Felder verdunkeln und ein Schauer durch die Herden geht, oder wie die Hand, die die Plage ausstreut oder den Verstorbenen die Augen zudrückt. Seine Oberlippe zog sich hoch, rollte sich fast ein, es war eine Grimasse, sie entblößte das trockene Zahnfleisch, und daran blieb mangels Spucke die Innenseite der Lippe hängen, er würde sie nicht mehr lösen können, so verkrampft bis zum Ende aller Zeiten in einem gequälten, vom Körper getrennten Gesicht, den Kopf dagegen senkte er, kaum hatte er das trübe Aufblitzen des Metalls in der Höhe, über ihm und mir, dort oben, wahrgenommen, eine doppelte Schneide, zwei Hände, ein Heft, er preßte ihn gegen den Deckel, als wollte er, daß dieser nachgäbe und verschwände, und zog instinktiv den Hals ein, vergrub den Kopf zwischen den Schultern wie in einem Krampf, diese Bewegung hatten wahrscheinlich alle Guillotinierten in zweihundert Jahren ungewollt oder gewollt gemacht und alle, die im Lauf von hundert Jahrhunderten das Beil zu spüren bekamen, sogar die willigen Schuldigen und die Resignierten in ihrer Unschuld, diese Bewegung haben wahrscheinlich selbst die Hühner und die Truthähne gemacht.
    Das Schwert fuhr sehr rasch herab, mit großer Kraft, dieser Hieb würde genügen, um einen sauberen Schnitt zu machen und sogar noch den Deckel zu zersplittern oder zu zerbrechen, aber Tupra hielt die Klinge jäh an, in der Luft, einen oder zwei Zentimeter vom Nacken, vom Fleisch, von den Knorpeln und dem Blut entfernt, er kontrollierte seinen Schwung, er verstand ihn abzumessen, er wollte ihn bremsen. ›Er hat es nicht getan, er hat nicht geköpft‹, konnte ich voll Erleichterung denken und ohne so viele Worte, aber sie dauerte keine Sekunde, denn sofort hob er es wieder und hielt sich damit an das Besondere und Schreckliche der Waffen, die nicht aus der Hand gegeben, nicht geworfen werden und deshalb auch Repetierwaffen sind, sie können ein ums andere Mal niederfahren, können zuerst drohen und dann niedermähen oder heillos durchbohren, ein Fehlstoß oder plötzliche Reue bedeuten keine Atempause, keine kurzfristige Begnadigung oder flüchtige Waffenruhe, wie es bei der geworfenen Lanze wäre, die ihr Ziel verfehlt, oder dem Pfeil, der von seiner Bahn abweicht und sich im Himmel verliert oder flach auf den Boden fällt, es braucht einige Sekunden, um einen anderen aus dem Köcher zu holen und ihn einzulegen und die ruhige Hand wiederzufinden, um besser zu zielen und die gebogene Gerte wieder zu spannen, ohne daß der Muskel empfindlich reagiert, in dieser winzigen Pause kann man in Deckung gehen oder im Zickzack davonrennen in der Hoffnung, daß dem nervösen Bogenschützen, der uns erspäht hat, kaum noch Pfeile bleiben, drei, zwei, einer, keiner. Jede Bewegung Tupras war oder war noch immer resolut, nicht improvisiert, er mußte sie alle bedacht oder kalkuliert haben, bevor er diese Toilette betreten hatte, sogar schon in dem Augenblick, da er mir auf der Tanzfläche befohlen hatte, den Attaché dorthin zu bringen und mit ihm zu warten, bis er mit der versprochenen Linie käme, daran hatte er sich gehalten, er hatte sie gebracht, wenn es denn kein Puder war, das Pulver, das jetzt verstreut, verflogen war durch De la Garzas flüchtigen Kopf,

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