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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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flach war, das ist bisweilen die einzige Möglichkeit, sich dem Schmerz zu entziehen und von der Verzweiflung auszuruhen, eine Art von Narkolepsie, so heißt das, aber wer kennt ihn nicht, diesen plötzlichen, unangebrachten, unschicklichen Schlaf, wer ist nicht eingeschlafen oder hat nicht einschlafen wollen inmitten der Angst oder der Tränen, wie in dem Augenblick, da man sich beim Zahnarzt auf den Stuhl setzt oder auf dem Weg zum Operationssaal versucht, der sorgfältigen Arbeit des Anästhesisten zuvorzukommen, der unwiderstehliche Schlaf als letzte Verweigerung und Flucht, das Geschehen träumen wird es in Fiktion verwandeln.
    Tupra ließ das Schwert so schwungvoll niederfahren, daß es klang, als sirrte eine Peitsche durch die Luft, und dieses zweite Mal tat er wieder das gleiche mit seiner großen Meisterschaft, er hielt es jäh an, ohne daß die Klinge mit irgendeinem belebten oder unbelebten Körper in Berührung kam, Material, Fleisch, Haut oder Gegenstand, alles war unversehrt, der Kopf, der Deckel, die Keramik, der Hals, noch schnitt er nicht und spaltete nicht, zerstückelte nicht und mähte nicht nieder, er schlitzte nichts auf. Dann hielt er die Schneide einen Augenblick lang ganz nah am eingezogenen Nacken, als sollte De la Garza ganz deutlich ihr Vorhandensein bemerken – Hauch des Schwertes – und sich sogar vertraut mit ihr machen vor dem endgültigen Hieb, so wie wir nach einer Weile heftiges Atmen oder starrende Augen in unserem Rücken bemerken, die uns schlecht oder gut gesinnt sind, darauf kommt es nicht an, wenn sie unersättlich sind wie Sägen oder Beile oder durchdringend wie Messer. Als sollte ihm klar werden, daß er lebendig war und im nächsten Augenblick tot sein würde, in irgendeinem – eins, zwei, drei und vier; aber noch nicht; also fünf –, und der Attaché mußte denken, wenn er denn noch dachte und nicht im Traum versunken träumte: ›Er soll es nicht tun, bitte, er soll zögern und weiter zögern, aber beschließen, es nicht zu tun, er soll diese absurde Waffe heben und sie nicht mehr senken, für wen hält er sich denn, für einen Sarazenen, einen Wikinger, einen Mau-Mau, einen Seeräuber, er soll sie wegnehmen, er soll sie einstecken und verwahren, was hat das für einen Sinn, und Deza soll was tun, er soll verdammt noch mal endlich was tun, er soll sie ihm wegnehmen, er soll ihn zu Boden strecken oder ihn überzeugen, er darf nicht zulassen, daß das passiert, es wird nicht passieren, es wird mir nicht passieren, nicht mir, ich denke noch immer, also ist es nicht passiert, die Zeit vergeht nicht mehr, aber ich denke weiter, also steht nicht meine ganze Zeit still.‹
    Etwas ganz Ähnliches ging wohl auch mir durch den Kopf, der vielleicht ebenfalls flehte und schläfrig war – numbed  –, vielleicht vor lauter Ungläubigkeit, oder betäubt, obwohl ich nur unfreiwilliger Zeuge oder Komplize war – doch wovon: noch von nichts – und mein Hals nicht auf dem Spiel stand. Jemandem ein Schwert entreißen zu wollen, der damit droht, würde nur einem Narren einfallen, die doppelte Schneide, das Landsknechtsschwert oder der »Katzenschlitzer«, konnte sich gegen mich wenden, und mein eigener Kopf könnte in Gefahr geraten und sogar am Ende durch diesen Waschraum rollen, obwohl Tupra nicht das kleinste Anzeichen von Wahnsinn oder Außersichsein zeigte, er war derselbe wie immer, auf das Manöver konzentriert, gelassen, wachsam, etwas methodisch, leicht spöttisch, sogar leicht sympathisch bei dem möglichen Tötungsakt, der von allen der schlimmste ist und unsagbar unsympathisch. Es war unwahrscheinlich, daß er mir einen Hieb versetzte, ich gehörte zu ihm, arbeitete mit ihm, wir waren zusammen gekommen und würden zusammen gehen, er war ein loyaler Mann, da war mein Mantel, er hatte ihn für mich geholt und mir gebracht, warum ließ er diese Grausamkeiten nicht sein, damit wir diesen abscheulichen Ort endlich verlassen konnten, ich wollte kein Blut sehen und auch nicht De la Garza enthauptet, ohne Hals, wie ein Huhn, was würden wir mit der Leiche tun, und was würden sie in der Botschaft sagen, man würde Ermittlungen in Spanien anstellen, schließlich und endlich war er ein Diplomat trotz seiner unbeschreiblichen Erscheinung, und New Scotland Yard würde das gleiche tun, man hatte uns mit ihm auf der Tanzfläche gesehen, vor allem mich und Frau Manoia. Plötzlich war ich mir sicher: Tupra würde ihn nicht töten, denn er würde sie nicht in einen derartigen

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