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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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mitfühlenden und scharfsinnigen Urteile ihrerseits als unbedarft und naiv bezeichnet werden, warum hat sie das getan, wird man von dir sagen, wozu soviel Unruhe und die Beschleunigung ihres Pulses, wozu diese Bewegung und dieser Sprung; und von mir wird man sagen: Warum redete er oder schwieg er und bewahrte so viele Abwesenheiten, wozu dieses Gefühl von Schwindel, so zahlreich die Zweifel und so eine Qual, wozu tat er diese und so viele andere Schritte. Und von uns beiden wird man sagen: Warum gingen sie aufeinander los und wozu diese ganze Anstrengung, warum führten sie Krieg, statt zu schauen und ruhig zu verharren, warum verstanden sie es nicht, sich zu sehen oder sich weiter zu sehen, und wozu soviel Traum und dieser Stich, mein Schmerz, mein Wort, dein Fieber und so zahlreich die Zweifel und so eine Qual.)

D iese mickrige kleine Musik vertrieb sofort die apokryphen Verse von »The Streets of Laredo« , die mir im Kopf herumgingen, diese Melodie hatte mich trotz meiner Schrecken und Ängste zu keinem Augenblick verlassen, jetzt, wo ich sah, wie De la Garza bläuliches Wasser schluckte, war mir eine dritte Version eingefallen, glaube ich; zu den Balladen schreibt man so viele Texte, wie man will, und die von Laredo und Armagh hatte ich als »Doc Holliday« gehört, eine Verwandlung, die auf die Laune irgendeines vergessenen Sängers zurückging: er ließ den Mann, der Wyatt Earp im O K Corral bei dem berühmten Duell oder eher in der Feldschlacht zwischen Banden begleitet hatte, zu dieser Musik seine Geschichte erzählen, den tuberkulösen und alkoholischen Spieler, Mediziner (oder Zahnmediziner, wie Dick Dearlove) und guten Shakespeare-Kenner, oder zumindest wurde er so in dem besten Film dargestellt, den ich über sie gesehen habe, über Earp und Holliday in der Stadt Tombstone, und nicht in Laredo und schon gar nicht in diesem unbekannten irischen Armagh: »But here I am now alone and forsaken, with death in my lungs I am dying today«, und genau das konnte sich Rafael de la Garza mit seinen eigenen, immer pfiffigeren und gröberen Worten sagen, obwohl er nicht an der Krankheit des Hustens und des Taschentuchs vor dem Mund und der blutigen Auswürfe starb, sondern an Überflutung oder stehendem Wasser, »Aber jetzt bin ich hier allein und verlassen, mit dem Tod in meinen Lungen sterbe ich heute«.
    Der Katzenpasodoble störte Reresby oder ärgerte ihn sogar, und das erstaunte mich nicht im mindesten, denn auch mich machte er verrückt.
    »What’s this shit?«, sagte er, während ich dachte: ›Schon wieder?‹
    Das hartnäckige Geklingel bewirkte, daß er seine Stöße und De la Garzas Eintauchen in die Kloschüssel unterbrach. Dann durchsuchte er ihn rasch und rücksichtslos nach dem impertinenten Handy, und als er es in einer Tasche des Rapper-Jacketts gefunden hatte, nahm er es, betrachtete es genervt und wütend und schleuderte es mit aller Kraft gegen eine Wand, das Gerät zersprang in tausend Stücke, und die urspanischen Töne hörten augenblicklich auf. ›Wenigstens wird er ihn nicht mehr ertränken‹, dachte ich, ›vorläufig‹, und außerdem wurde mir klar, daß ich alles, was nicht das Schwert war, als weniger gefährlich, weniger tödlich sah, vielleicht lag es nur daran, daß man zum Erwürgen oder Ertränken etwas Zeit braucht, auch wenn es wenig ist, und diese Zeit läßt einem anderen, und das müßte ich sein, Zeit, einzugreifen, aber wie, es gab sonst niemanden an diesem Ort, und es versuchte auch niemand, hereinzukommen, alle hätten eine blockierte Tür vorgefunden und angenommen, daß diese Toilette nicht in Gebrauch war; wohingegen man für die Enthauptung oder den Hieb überhaupt keine Zeit braucht, und wenn Tupra die Klinge nicht beim ersten Anlauf abgebremst hätte, wäre der Kopf des Attaché längst abgetrennt und zu Boden gefallen, und er wäre zwei Teile oder wäre nicht. Und so verfolgte ich voller Besorgnis, was Reresby tat, aber ich warf auch rasche Blicke auf seinen aufgehängten Mantel, ich wußte jetzt, daß dort die furchtbare Waffe der Landsknechte verwahrt war und daß er aus jeder beliebigen Anwandlung oder Erregung heraus auf sie zurückgreifen, sie abermals aus der Scheide ziehen und schwingen konnte.
    Dann packte Tupra Rafita an den Aufschlägen oder eher an der Hemdbrust und machte mit ihm fast das gleiche wie mit seinem Handy, ich meine, er schleuderte ihn gegen eine Wand, und ich sah, wie sich eine der seltsamen hervorstehenden zylindrischen Stangen in

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