Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
Entschädigung gab. Obendrein liebte sie den Stierkampf, mehr, als ihr wißt, sie hatte die Neigung von ihrem Vater geerbt, aber sie zog es vor, sie nicht zu sehr an euch weiterzugeben. Wir haben euch mehr als einmal gesagt, wir würden ins Theater oder ins Kino gehen, und sind in Wirklichkeit in die Arena gegangen.« Meinem Vater entfuhr ein kurzes amüsiertes Lachen, jetzt, da er sich erinnerte und diese kleine, harmlose Täuschung seiner Kinder eingestand. »Ich wollte ihr die Liebe zum Stierkampf nicht verderben, und das wäre wahrscheinlich passiert. Mich selbst kostete es Zeit und Mühe, ihn mir nicht ganz von Marés’ erzähltem Tod verdüstern zu lassen, und dabei war mein Vergnügen daran geringer, war er mir gleichgültiger: am Anfang dachte ich bei jeder Corrida an ihn, und das verfinsterte mir alles, sein Schatten schlich sich in jede einzelne Phase ein. Ich weiß nicht. So wie ich auch an der Ecke Alcalá und Velázquez immer an dieses kleine Kind denke, das die Milizionärin an die Wand seines Zimmers geschmettert hatte, wie sie erzählte.« Mein Vater war müde geworden, ich merkte es ihm an, als er eine weitere Pause machte; er schloß die Augen, als schmerzten sie ihn, weil er sie zu lange in die Ferne gerichtet hatte. Aber es war noch nicht Mittagessenszeit, ich schaute auf die Uhr, es fehlten etwa zwanzig Minuten, bis die Frau, die für ihn kochte, hereinkommen würde, um uns Bescheid zu geben, oder bis meine Schwester auftauchen würde, sie hatte angekündigt, daß sie vorbeikommen und mit uns essen würde, wenn sie ihre Erledigungen rechtzeitig beendet hätte. Und er war noch nicht zum Gewebe zurückgekehrt, also beschloß er nach einem Augenblick, weiterzusprechen, wenn auch, ohne sogleich die Augen zu öffnen. »Ich habe viele Dinge gesehen, wir haben vielleicht schlimmere Dinge gesehen«, sagte er mit einem zweideutigen Plural oder im Wechsel mit dem unzweideutigen Singular. »Viele Tote gleichzeitig, bekannte und unbekannte zusammen, plötzlich bei den Bombenangriffen, und dann hat man keine Zeit, sich auch nur eine Sekunde lang auf einen davon zu konzentrieren, was vorherrscht, ist normalerweise ein Gefühl von absolutem Ende, von allgemeiner Kapitulation, von Vernichtung, die sich vollzieht, das hat man in diesem Augenblick, und mit ihm vermischen sich die gegenteiligen Impulse, um jeden Preis zu überleben, über die Leichen zu springen, Zuflucht zu suchen, sich in Sicherheit zu bringen und bei ihnen zu bleiben, ich meine, sich mit ihnen zu vereinigen, sich an ihre Seite zu legen, Teil des reglosen Haufens zu sein und endlich Schluß zu machen: man ist fast neidisch. Es ist seltsam, aber selbst inmitten des Getümmels und der Einstürze und des Chaos, während man selbst rennt, um einem Verletzten zu helfen oder Deckung zu suchen, erkennt man sofort ihre Nutzlosigkeit. Für niemanden schädlich, auch ausgeruht und besänftigt, es geht blitzschnell. Na ja, und wenn man dem zweiten Impuls folgte, dann erreichte man höchstwahrscheinlich ungewollt den Zweck des ersten, denn die nächste Bombe fiel nie am selben Ort wie die vorherigen: die Belagerer betrieben keine Verschwendung, womöglich war kein Ort so sicher wie der an der Seite der schon Toten. Aber worauf ich hinauswollte: ich habe dir jetzt zwei Dinge erzählt, die ich nicht gesehen habe, die wir nicht gesehen haben, die mir vielmehr erzählt wurden oder die ich mitbekam, ohne es zu wollen, in keinem der beiden Fälle waren die Worte an mich gerichtet, nicht persönlich, oder nicht ausschließlich an mich; und doch sind sie mir genauso im Gedächtnis geblieben wie das, was wir gesehen haben, oder vielleicht mehr noch, man verbietet sich eher die Erinnerung an ein unerträgliches Bild als an die Erzählung von noch so abscheulichen Dingen, eben weil jede Erzählung erträglicher zu sein scheint. Und sie ist es, in gewisser Hinsicht: was man sieht, geschieht gerade; was man hört, ist bereits geschehen; was es auch ist, man weiß, daß es vorbei ist, sonst könnte niemand es erzählen. Ich glaube, meine so überdeutliche Erinnerung an diese beiden Geschichten, an diese Verbrechen, ist darauf zurückzuführen, daß ich sie aus dem Mund der Menschen gehört habe, die sie begangen hatten. Nicht von einem Zeugen, auch nicht von einem Opfer, das überlebt hätte, dessen Ton voller berechtigter Vorwürfe und Klagen gewesen wäre, aber eben deshalb von fragwürdigerer Wahrhaftigkeit, man kann bei der Beschreibung eines Leids immer
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