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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Vater oder Wheeler, die andere, nicht leichtfertige erlebt haben, so große Verachtung empfinden: der Golfkrieg, der Krieg im Kosovo, in Afghanistan, im Irak mit den unehrenhaften Gründen und den falschen Interessen und der völlig inexistenten Notwendigkeit abgesehen vom grenzenlosen Dünkel derer, die sie betrieben haben. Solange es Kämpfe gibt und die Bomben auf Soldaten und Zivilpersonen fallen, bemächtigt sich unserer eine ungeheure Beklemmung, wir sehen die Nachrichten jeden Tag mit bangem Herzen; diese Phase ist heute gewöhnlich kurz, bisweilen nur ein paar Wochen oder aber wenige Monate, und uns bleibt keine Zeit, uns daran zu gewöhnen und uns auf diese Weise die erforderliche Unempfindlichkeit zuzulegen, zu akzeptieren, daß jeder heimtückische oder offen geführte Krieg so ist und daß man auch damit täglich leben kann, ohne ihm allzu große Bedeutung beizumessen oder sich jeden Augenblick verzweifelt um die anderen zu sorgen, vor allem um die fernen Unbekannten; nicht einmal um sich selbst und um seine nahen Bekannten, wenn es jemanden trifft, dann trifft es ihn eben, das ist alles, wenn das Morden erst einmal begonnen hat. Wenn eine Kugel deinen Namen trägt, wie Diderot als erster gesagt hat, wenn ich nicht irre. Heute bleibt uns keine Zeit, uns einzurichten im Kriegszustand, der den des Friedens unvorstellbar macht und umgekehrt, wie Wheeler festgestellt hatte (»Die Leute sind sich nicht bewußt, bis zu welchem Grad das eine das andere negiert«, hatte er gesagt, »es aufhebt, es abstößt, es aus unserer Erinnerung tilgt und aus unserem Vorstellungsvermögen und unserem Denken vertreibt«), und so ist der Ausnahmecharakter sehr groß, eben aufgrund der kurzen Dauer des auf dem Bildschirm gesehenen Schreckens, so daß uns nach Beendigung dieser Phase ein seltsames Gefühl überkommt, so als sei alles abgeschlossen und bis zu einem gewissen Grad ausgelöscht. ›Wenigstens passiert es nicht mehr‹, denken wir, und dabei seufzen wir noch; und dieses »wenigstens« enthält eine beträchtliche Ungerechtigkeit: das Geschehene verliert nur deshalb Gewicht und Wucht, weil es nicht mehr geschieht, und dann sehen wir fast von den Verletzten und Toten ab, die uns so sehr bedrückten und bewegten, während ihr Schicksal sie ereilte. Jetzt sind sie Vergangenheit, also soll jemand sich kümmern, wiederaufbauen, heilen, begraben, adoptieren, am besten dieselben, die für sie verantwortlich sind und somit auch als Wiedergutmacher erscheinen, der Gipfel der Absurdität und der Lüge. Es ist ein weiteres Symptom für die Infantilisierung der Welt: »Schon vorbei, schon gut, schon vorbei«, sagten die Mütter zu den Kindern nach einem Alptraum oder einem Schrecken oder irgendeinem Mißgeschick, wenn man sich die Finger eingeklemmt oder sich sonst irgendwie weh getan hatte, fast als würden sie erklären: »Was nicht mehr ist, ist nicht gewesen«, auch wenn der Schmerz anhielt und sich dann ein juckender Schorf bildete oder die Finger blau wurden und anschwollen und manchmal eine Narbe zurückblieb, damit der Erwachsene über sie streichen und sich weiter an jenen Schmerz und an jenen Tag erinnern konnte.
    Erleichterung zu empfinden, weil ich dabei war, als ein verängstigter und ahnungsloser, halb betrunkener Mensch zusammengeschlagen wurde, ohne daß ich es zu verhindern gewagt oder gewußt hatte; weil ich geglaubt hatte, daß mein Kollege einen Kopf abschlagen würde, daß er mit einem Netz erwürgen und mit dem Wasser der Toilettenspülung ertränken würde, war nicht vernünftig und schon gar nicht edelmütig. Und doch war es so, Tupra hatte aufgehört, und ich war froh, das Gewicht, das er mir genommen hatte, war sehr viel entscheidender als das, was er mir aufgeladen hatte, und das war alles andere als gering gewesen. De la Garza befand sich nicht mehr in Gefahr, das war mein hauptsächlicher grotesker Gedanke, denn die Gefahr hatte ihn bereits brutal ereilt. Zwar nicht bis zum Tod, aber es schien lächerlich, sich damit abzufinden, ihn noch am Leben zu sehen, und sich sogar zu freuen, wo ich mir doch zuallerletzt hätte vorstellen können, daß er die Toilette, in die ich ihn geführt hatte, so übel zugerichtet verlassen würde, zumindest mit mehreren gebrochenen Knochen, das war sicher. Wenn er sie denn verlassen würde, denn während Reresby sich wieder herrichtete und sein dunkles, voluminöses und gelocktes Haar zu bändigen glaubte, wie man es in seinem Reich gewöhnlich nicht antrifft (mit

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