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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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ihn mir zurück. Im Unterschied zu Wheeler war er nicht so vorsichtig gewesen, ihn gegen das Licht zu halten, um festzustellen, ob er sauber war, als ich ihn ihm gereicht hatte. Dagegen tat ich es, als er in meine Hand zurückkehrte, es gab keine Haare. Ich übersetzte dem Attaché die letzte Rede, aber das mit dem Schwert ließ ich aus; ich meine, ich erwähnte den Kopf und seinen stets möglichen, vielleicht nur aufgeschobenen Verlust; aber nicht das Schwert. Man kann nicht von jemandem verlangen, alles zu übersetzen, ohne es in Frage zu stellen oder zu beurteilen oder zu verwerfen, jeglichen Wahnsinn, jegliche Verwünschung oder Verleumdung, jegliche Obszönität oder Brutalität. Auch wenn man selbst nicht derjenige ist, der spricht oder sagt, auch wenn man ein bloßer Übermittler oder Nacherzähler fremder Worte und Sätze ist, macht man sie sich doch bis zu einem gewissen Grad zu eigen, indem man sie in verständliche verwandelt und sie wiederholt, sehr viel mehr, als man am Anfang glaubt. Man hört sie, man versteht sie, manchmal hat man eine Meinung zu ihnen; man findet ein sofortiges Äquivalent für sie, man verleiht ihnen eine neue Form und gibt sie von sich. Es ist, als würde man sie unterschreiben. Nichts von dem, was in dieser Toilette geschehen war, hatte mir gefallen. Nichts von dem, was Tupra getan hatte. Auch nicht meine Passivität oder meine Verwirrung, oder es war Feigheit, oder es war Vorsicht gewesen, vielleicht hatte ich größere Katastrophen verhindert. Noch weniger gefallen hatte mir Reresbys unangebrachter Plural, »wir wissen, wo wir ihn finden können«, es beunruhigte und störte mich, daß er mich darin einschloß, er, der mich wenig kannte, und ohne meine Zustimmung. Man konnte nicht von mir verlangen, daß ich obendrein aktiv wurde und mit der Waffe drohte, die Angst macht wie keine andere, eine atavistische Angst, und im Lauf fast aller Jahrhunderte am meisten getötet hat, aus der Nähe und im Angesicht des Toten. Und die ich so sehr gefürchtet hatte, solange sie blankgezogen und hoch erhoben war.
    Zum Schluß fügte ich auf eigene Rechnung in meiner Sprache hinzu:
    »De la Garza, es wird besser sein, du machst alles, was er dir sagt, ist dir das klar? Wirklich. Ich habe geglaubt, du würdest nicht mit dem Leben davonkommen. Ich kenne ihn auch nicht sehr gut. Ich hoffe, du kannst dich erholen. Viel Glück.«
    De la Garza nickte, kaum mehr als eine Bewegung des Kinns, die Augen ausweichend und trüb, er wollte uns nicht einmal ansehen. Von seinen Schmerzen abgesehen war er noch immer halbtot vor Angst, glaube ich, sie würde ihn erst dann verlassen, wenn wir aus seinem Blickfeld verschwänden, und doch würde ihm ein Rest für immer bleiben. Er würde sicher gehorchen, er würde nicht wagen, nachzuforschen, mich zu suchen, mich anzurufen. Vielleicht nicht einmal, sich telefonisch bei Wheeler zu beklagen, seinem theoretischen Mentor in England. Auch nicht bei seinem Vater in Spanien, Peters altem Freund. Er hieß Don Pablo und war sehr viel besser als der Sohn, ich erinnerte mich.
    Tupra nahm seinen hellen, so achtbaren und so starren Mantel und warf ihn sich über die Schultern, es gab keinen Unterschied mehr zwischen dem, der hinausging, und dem, der hereingekommen war. Er griff nach den nassen Handschuhen und steckte sie in eine Manteltasche, nachdem er sie ausgewrungen und jeden in einen Streifen Toilettenpapier eingewickelt hatte. Er entriegelte die Tür und hielt sie mir auf.
    »Gehen wir, Jack«, sagte er.
    Er schenkte dem Gefallenen keinen Blick. Das war er, ein Gefallener, der ihn nichts mehr anging, er hatte seine Arbeit getan. Ich hatte den Eindruck, daß er ihn so sah, wahrscheinlich ohne Feindseligkeit oder Mitleid. Vermutlich sah er alle Dinge so: man tat sie, wenn es nötig war, man befaßte sich damit, man schuf Abhilfe, man entschärfte sie, man setzte sie in Brand oder man glich sie aus (»Don’t linger or delay«) ; danach vergaß man sie, sie waren Vergangenheit, und immer gab es noch etwas, das wartete, er hatte es schon gesagt, er hatte da draußen noch Dinge zu erledigen und brauchte dreißig oder vierzig Minuten, bei den vielen Unterbrechungen war er bestimmt zu keinem Ende gekommen, was die Abmachungen oder Bestechungen, die Erpressungen oder Pakte mit Herrn Manoia betraf. Oder er hatte ihn womöglich nicht überzeugt oder überredet, oder er hatte Manoia nicht Gelegenheit genug gegeben, damit er ihn überzeugen oder überreden konnte, von oder zu was

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