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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Fall gewesen ist. Ich weiß es nicht. Damit ich glaubte, er sei tatsächlich imstande, zu töten, ohne es sich zweimal zu überlegen, auf die brutalste Weise und fast für nichts und wieder nichts. Vielleicht hat er es dann aber auch abgebremst, damit ich das Gegenteil glaubte, daß er nicht imstande war, obwohl die Gelegenheit günstig für ihn schien, wie soll ich sagen, obwohl er auf dem besten Wege war. Oder vielleicht wollte er mich auf die Probe stellen, meine Reaktion auf etwas Derartiges sehen, herausfinden, ob ich ihm beistehen oder meine Hände in Unschuld waschen oder mich angesichts der Brutalität auf eine Konfrontation mit ihm einlassen würde. Na ja, letzteres weiß er schon. Er weiß, daß ich es nicht tue, wenn ich keine Waffe habe. Was nicht viel heißt: es wäre nützlicher für ihn gewesen, Bescheid zu wissen, wenn ich eine in den Händen gehabt hätte.«
    »Und was glaubst du also definitiv? Du hast mir nicht geantwortet, Jack, und wenn ich dich frage, dann deshalb, weil mich deine Antwort interessiert; es ist egal, ob du dich irrst oder das Richtige triffst, denn meistens werden wir es nie herausfinden. Glaubst du, daß er töten kann, dieser Reresby, oder daß er nie Ernst machen würde? Denk nicht nur an diese Situation, denk an die Person insgesamt.«
    »Ja, ich glaube durchaus, daß er es kann«, hätte ich gesagt. »Jeder kann es, aber die einen mehr und die meisten weniger, und in dieser Frage ist das Weniger unendlich: unendlich weniger.« Und ich hätte für mich hinzugefügt: ›Comendador kann es, das weiß ich seit jeher, Wheeler kann es und ich kann es, das weiß ich noch nicht so lange; Luisa kann es nicht, und von Pérez Nuix weiß ich es nicht, sie entzieht sich mir, dafür können es Manoia und Rendel, nicht aber Mulryan oder De la Garza oder Flavia oder vielleicht doch der zweite, ohne es zu wollen, aus Panik und hinterrücks; auch Beryl und Lord Rymer, die Flasche, könnten es nicht – letzterer verliert nicht die Nerven, wenn er sich betrinkt, womöglich würde er die Nerven verlieren, wenn er nüchtern ist, aber daran kann sich niemand erinnern –, dagegen durchaus Frau Berry, wie Dick Dearlove, aber aus einem anderen Horror heraus als dieser, ich weiß nicht, welcher es sein könnte, nicht aus dem erzählerischen oder biographischen Horror, wie er über die Bühnengrößen hereinbricht. Mein Vater kann es nicht und auch nicht meine Schwester und meine Brüder, auch meine Mutter hätte es nicht gekonnt, auch nicht Cromer-Blake oder Toby Rylands oder Toby nur in der Schlacht, und dort tat er es sicher. Nicht Alan Marriott mit seinem dreibeinigen Hund, wohl aber Clare Bayes, meine ehemalige anhängliche Geliebte in Oxford. Mein Sohn wird es nicht können, vielleicht aber das Mädchen, soweit man das vorhersehen kann, und das ist sehr wenig. Bestimmt kann es Incompara, obwohl ich das Gegenteil behauptet habe.‹ Und ich hätte noch gedacht: ›Wenn ich es mir recht überlege, dann weiß ich es von fast allen Menschen, die ich kenne, oder ich komme dem nahe, und ich glaube auch zu wissen, wer kommen würde, um mich zu töten, um mich im Morgengrauen abzuholen und zu erschießen, so wie sie Emilio Marés und so viele andere geholt haben: wenn sie könnten, wenn ein weiterer Bürgerkrieg in Spanien ausbräche, wenn sie das Durcheinander und den Vorwand und die Maskierung für ihr Verbrechen fänden. Es war besser, in England zu sein.‹ Und dann hätte ich Reresby weiter gedeutet: »Er wird es wahrscheinlich getan haben. Das eine oder andere Mal mit seinen Händen und sehr viel öfter mit seinen Intrigen, mit Heimtücke, mit Verleumdungen, Gift, mit stillschweigenden, einsilbigen Befehlen oder verurteilendem Schweigen. Bestimmt hat er Cholera- und Malaria- und Pesterreger ausgestreut und dann den Überraschten oder Wissenden gespielt, je nachdem und wie es ihm paßte, je nachdem, ob er die Maske aufbehalten oder abnehmen wollte. Sie abnehmen, um Angst einzujagen, sie aufbehalten, um Vertrauen einzuflößen. Beides bringt große Vorteile mit sich, verfehlt nicht die Wirkung.«
    »Man muß also sehr auf der Hut sein«, hätte Tupra über Reresby gesagt. »Er ist wirklich gefährlich, und natürlich muß man ihn fürchten.«
    So lautete fast die Schlußfolgerung des vagen Berichts, den ich in dem alten Register des namenlosen Gebäudes über mich gelesen hatte, der von wer weiß wem verfaßt worden war, von jemandem, der auf konkrete Personen anspielte, von denen ich nicht wußte,

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