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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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folgte dem Rhythmus der Musik mit einem Fuß, träge und diskret, sie hatte sich die Wange gut überschminkt, aber man sah dennoch, daß sie gebrandmarkt war, man bemerkte das Mal, ihre Frisur war beim Tanzen in Unordnung geraten, und in ihrem Fall würde weder ein eigener noch ein fremder Kamm genügen, um die mutmaßlichen, kompliziert angeordneten künstlichen Haarteile wieder in die gehörige Ordnung zu bringen. Sie war um einige Jahre gealtert, sie mochte sogar einige künstliche, kindliche Tränen vergossen haben, das macht sofort das Alter kenntlich bei denen, die es verfälschen oder verbergen (die fingierten Tränen, aber nicht die echten). Erst nach einer Weile, als ihr Ehemann Tupra lange ins Ohr flüsterte, fragte sie mich auf italienisch:
    »Ihr Freund?« Plötzlich war sie zum Sie zurückgekehrt, ein weiteres Zeichen ihrer gedrückten Stimmung.
    Ich schaute aus dem Augenwinkel auf ihre stechenden Brustwarzen oder brutali capezzoli , wer konnte nur auf die Idee kommen, sich mit derartigen Eispickeln zu bewaffnen. Sie trugen die indirekte Schuld an fast allem, natürlich an meiner Vernachlässigung.
    »Er ist gegangen«, antwortete ich. »Er hat sich gelangweilt. Und es war spät für ihn, er steht immer früh auf.« Das zweite, fürchtete ich, hatte ich in böser Absicht gesagt, in jenen Augenblicken war ich sehr unzufrieden und ertrug die Dame nicht.
    Dann hielt ich Ausschau nach der Gruppe der lärmenden Spanier, mit der De la Garza gekommen war; ich hörte sie nicht, also sah ich sie logischerweise auch nicht, ihr Tisch war leer. Sie waren wohl wirklich gegangen oder hatten sich zerstreut, ohne auf ihn zu warten oder ihn zu suchen, wahrscheinlich hatten sie angenommen, daß er längst kopulierte oder fast, man mußte sich keine Sorgen machen, daß sie ihren Freund retten und ihn daran hindern könnten, Reresbys ausdrückliche Befehle und seine Fristen zu befolgen.
    Es waren genügend Minuten kontemplativer oder toter Zeit, so daß ich am Ende, rückblickend, wütend wurde. Wie war das möglich gewesen? fragte ich mich, und in jeder Sekunde kam es mir mehr wie ein dummer, ärgerlicher Traum vor, einer von denen, die nicht weichen, sondern sich tatsächlich aufhalten und warten. Warum hatte Tupra sich nicht damit begnügt, De la Garza stehenzulassen, einfach mit uns dreien zu entschwinden und dafür Sorge zu tragen, daß er sich nicht an uns hängte? Was war so wichtig daran, das Gespräch hier fortzusetzen, in diesem lauten snobistischen Lokal, statt in irgendeinem anderen, ohne Zwischenfälle und Unterbrechungen? Die Stadt war voll davon, gerade in diesem Teil von Knightsbridge fehlte es nicht daran, und Tupra würde überall zu Hause sein; ich sah die Notwendigkeit der Abreibung nicht ein und die des Schwertes schon gar nicht. Und warum war ich ihm nicht in den Arm gefallen? (Als ich glaubte, er würde es auf das pulsierende Fleisch niederfahren lassen.) Die Antwort auf die letzte Frage fiel mir sogleich ein, außerdem war sie sehr einfach: weil er mir den Kopf hätte abschneiden oder eine Schulter senkrecht hätte aufschlitzen können, bis in die Lunge hinein. Mit einem einzigen, beidhändig geführten Hieb. ( ›And in short, I was afraid‹. ›Kurzum, ich hatte Angst.‹) Und als Folge dieser Antwort und dessen, was ich gesehen hatte, stellte ich mir Fragen über Tupra, so als würde Tupra mich bei einer unserer Sitzungen im namenlosen Gebäude, bei unseren Lebensdeutungen, befragen, er hätte mir ohne weiteres derlei Fragen stellen können – die am Anfang fast unmöglich zu beantworten waren, bis man in Fahrt kam –, am Tag nach irgendeinem Treffen oder Ausgehen, nach irgendeiner Begegnung oder Überwachung, über jede beliebige Person, mit der wir gesprochen hätten oder nur zusammengewesen wären oder die wir nur beobachtet und angehört hätten:
    »Glaubst du, daß dieser Mann töten kann oder daß er nur ein Aufschneider ist, einer von denen, der droht und nicht wagt, zuzuschlagen? Warum, glaubst du, hat er innegehalten mit dem Schwert?«
    Und ich hätte antworten können:
    »Vielleicht muß man sich fragen, warum er es hervorgeholt hat, das als erstes. Es war spektakulär und unnötig, und am Ende hat er es nicht einmal benutzt, nur, um dem Opfer das Haarnetz abzuschneiden und ihm einen tödlichen Schrecken einzujagen, und auch dem Zeugen natürlich. Man könnte sich fragen, ob er vor allem deshalb mit ihm gedroht hat, damit ich es sähe und beunruhigt und beeindruckt wäre, wie es der

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